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von demselben herab) oder waren, wenn dieses fortfiel, an einer Säule
aufgehängt. Einige standen auch in Form eines mit einem Fuße ver—
sehenen Türmchens, einem Kelche ähnlich, auf dem Altar. Im
vierzehnten Jahrhundert fing man an, wohl der Sicherheit halber,
die Hostie in einem mit eisernen Thüren versehenenen Wandschrank
nahe dem Altar zu verschließen?). Als besonders heilige Stelle wurde
er mit reichen gotischen Verzierungen versehen, oder es wurde ein
selbständiges, an der Wand oder einem Pfeiler lehnendes Sakraments—
häuschen aufgebaut, das einen für die ganze Gemeinde sichtbaren
reichen Schmuck erhielt'). Dies bot den Künstlern die willkommenste
Gelegenheit, sich in den Regeln des künstlichen Turmbaues zu ver—
suchen, und bald wuchsen turmartige, mit unzähligen architektonischen
Gliederungen und Bildwerken geschmückte Tabernakel anf. In der
zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts zogen sie sich, aus un—
endlich dünnen Steinrippen und zierlichen Strebepfeilern zusammen—
gesetzt, bis zum Gewölbe der mächtigen Hallenkirchen hinauf. Ähn—
liche turmartige Verzierungen brachte man an Altären, Taufbecken,
Kanzeldecken und Chorstühlen an“).
Die Blütezeit dieser gotischen Tabernakel, die um die Wende des
fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts oft in spielerische Formen
ausarteten, hatte nur eine Dauer von etwa 150 Jahren gehabt. Da—
für waren sie damals fast ausnahmslos üblich und selbst in den ärmsten
und einfachsten Dorfkirchen meist in Stein gehauen. Ihr Standort
ist auf der Nordseite am Chor oder am Triumphbogen zwischen Schiff
und Chor (wie in Ulm). Mit dem Absterben der Gotik schwinden
diese turmartigen Gehäuse.
Durch die gebogenen und verschlungenen Säulen entsteht scheinbar
eine Verworrenheit, die jedoch bei sorgfältigerer Betrachtung in schönste
Harmonie sich löst. In dem ganzen Aufbau könnte man sich das
allerheiligste Altarsakrament als mysterium fidei symbolisiert denken,
als ein Geheimnis, das allem menschlichen Erkennen verschlossen bleibt
i) Bis in das XIV. Jahrhundert hinein.
) So der in der Sebalduskirche aus Stein bestehende Sakramentsschrank.
5) Nach Laib und Schwarz weist keine romanische Kirche ein turmartiges
Sakramentshäuschen auf.
Der schöne Schalldeckel der Kanzel im Ulmer Münster von Syrlin d. j.
(1510) zeigt diesen turmartigen Aufbau. Ebenso finden sich turmartige Ver—
zierungen an dem berühmten Chorgestühl (1469 - 1474) daselbst von Syrlin d. ä.
und an dem prachtvollen Dreisitz (1468) am Eingang des Chores von demselben
Meister.