Volltext: Der deutsche Meistergesang

Verlag von Friedberg & Mode in Berlin, S.W. Anhaltstrasse 8, 
Gudrun, übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von 
Z. Freytag. Berlin, 1888, 324 SS. 8% In eleg. Inbd, M. 4.—. 
Bekanntlich sind wir bei unserer „mittelhoch- wiedergebendes Neuhochdeutsch zu übertragen, 
deutschen Odyssee“ in zweifacher Hinsicht schlimm weiche seinen Nibelungen schon nach kurzer Zeit 
daran: insofern als wir erstens nur über eine ihres Ercheinens aligemeinen Beifall errang, 
ainzige und zwar sehr junge und ziemlich ver- Dass einem ebenso sprachkundigen wie dichterisch 
lerbte Handschrift verfügen können, in welcher beanlagten Manne, wie Ludwig Freytag, Über- 
alles, Echtes und Unechtes, nicht immer genau setzungen, wie die [leider noch immer dominie- 
arkennbar ohne jedes kritische Bedenken neben rende Simrocksche, die sich nicht weniger durch 
and in einander gefügt erscheint, zweitens aber, ihre undeutsche Sprache wie durch Schwerfällig- 
weil eben dieser unglückliche Umstand zum teil keit und allerlei Verstösse gegen die Metrik aus- 
Schuld daran trägt, dass wir im ganzen nur wenige zeichnet, wenig zusagen mochten, ist begreiflich, 
hochdeutsche Übertragungen des Gedichtes haben, Schwerer aber, als die Fehler der anderen zu 
unter denen hinwiederum keine einzige bisher eine erkennen, musste es sein, bei einer neuen Über- 
tiefere Befriedigung hervorzurufen vermochte. Um ragung alle die Klippen zu vermeiden, an denen 
30 erfreulicher ist es, dass sich nunmehr ein vor Simrock und zum teil auch seine Nachfolger ge- 
anderen Berufener. der schwierigen Aufgabe unter- scheitert, Ob und wie das in dem vorliegenden 
zogen, das hervorragende Werk in derselben Werke geschehen, mag eine kurze Nebeneinander- 
meisterhaften Weise in ein verständliches und stellung Freytagscher und Simrockscher Versionen 
dabei doch das Wort des Originals möglichst genau darthun: 
Freytag: 
[. 1, Ute hiess die Mutter ans königlichem Blute; 
Der Minne Geros würdig war der hohe Sinn der 
edlen Ute. 
Simrock: 
Seine Mutter, die hiess Ute, der Preis der 
Königinnen; 
Ob ihrer hohen Tugend geziemte wohl dem 
Reichen ihre Minne, 
Darinnen hatt’ er Recken viertausend oder mehre, 
Damit er alle Tage mochte erwerben beides Gut 
und Ehre, 
[. 2. Viertausend oder mehr noch von Recken hatt 
er drinnen : 
Mit ihnen Tag für Tage mocht er Gut und Ehre 
neu gewinnen, 
N. 2. Nach Gottes Willen fand es da noch nicht 
den Tod, 
IH. 12. „Wie ist denn solches möglich, dass ihr 
die ganze Zeit 
Bei den Greifen waret und noch am Leben seid?“ 
IV, 20. Hilde war ihr Name. Sie war vom Inderland 
Die ihm einst in grosser Not treu zur Seite stand 
Seit er in der Höhle sie zuerst gefunden, 
VHI. 7. Auf ein Lastschiff Hilden Wate flüchten 
liess, 
Der zum Schutz der Jungfraun rings besetzen 
hiess 
Mit einem Wall von Schilden des Schiffes ganze 
Brüstung. 
XVII. 3. Man sah sie sich benehmen, 80 traurig. 
wie sie mussten, 
Da sich die holden Jungfraun in den Händen 
ihrer Feinde wussten. 
XXVII., 20, Die Spitzen ihres Banners bauschten 
sich im Wind. 
Es war unerstorben nach Gottes Gebot — 
Da fragten sie alle: „Wie mochte das geschehen, 
Dass ihr bei den Greifen nicht längst den Tod 
ersehen?“ 
Sie war geheissen Hilde und war von India, 
Von der in grossen Nöten oft Liebes ihm geschah. 
Seit er sie gefunden hatt’ in einem Steine, 
Wate liess Frau Hilde flüchten auf ein Boot (?) 
Schnell mit manchem Schilde für das Mägd- 
leins Not 
Stand an allen Enden das Schiff in guter Wehre. 
(Falsch übersetzt und in welches Deutsch!) 
Soweit sie da durften vor der Normannen Scharen, 
Die minniglichen Maide sah man bei den Feinden 
traurig gebahren. 
Der Wind rührte die Örter: da ist Herr Ort 
wein — 
(Ganz unverständlich !) 
Die ihnen schaden wollten, dass sie die beides 
fingen und erschlügen. 
(Wie unbeholfen!) 
Bessere an, wie es auf grund der eingehendsten 
Forschungen, die jenem noch nicht zu gebote 
stehen konnten, in Freytags Werke entstanden ist. 
Freytags Gudrun erzeugt bei jedem Unbefangenen 
das Gefühl voller Befriedigung. Möglichste Treue 
in der Wiedergabe des Originals, freilich nicht 
auf Kosten des Verständnisses, also des unge- 
trübten Genusses und ästhetische Reinheit, das 
sind die beiden Grundsätze, welche der Um- 
dichter sich bei seiner Arbeit vorschrieb, die @F 
bereits seinen Nibelungen zu grunde legte und die 
in ihrer strengkonsequenten Durchführung auch 
der Gudrun des Lesers Herz gewinnen werden. 
Die dem Buche angefügten Anmerkungen werden 
jede Unklarheit in Wort- und Sachschwierigkeiten 
leicht beseitigen. Nimmt man zu dem allen hinzu, 
dass die Ausstattung des Buches eine vorzügliche, 
sein Preis ein wenig kostspieliger ist, so darf es 
uns wohl als eine Art von Pflicht erscheinen, das 
gediegene Werk allen Gebildeten der Nation warm 
ans Herz zu legen, 
Gandersheim. 
XXXI, 10. Und alle ihre Feinde vereint zu fangen 
und vereint zu schlaren. 
Derartige Stellen liessen sich leicht um ein 
Bedeutendes vermehren und liefern eben deshalb 
deutlich genug den Beweis, dass Simrocks Werk 
weniger den Namen einer Umdichtung als den einer 
allzu wörtlichen und deshalb häufig unverständ- 
lichen Übersetzung des Originals verdient, Allein 
wozu Ihn mit noch mehr Vorwürfen belasten, als 
bereits von vielen Seiten geschehen? Man ver- 
yesse dabei nicht, dass Simrocks Werk immerhin 
aus dem Grunde ein verdienstvolles genannt 
werden muss, weil er zuerst seiner Zeit den Inhalt 
unserer grossen Heldengedichte nach Kräften zu 
erschliessen suchte; nur soll er heute, da jene 
Zeit durch tiefgehende neuere Forschungen — wir 
nennen in erster Linie E. Martin, dessen Ausgabe 
der Freytagschen Umdichtung zu grunde liegt — 
längst überholt ist, nicht mehr mit dem Nimbus 
der Unübertrefflichkeit umgeben erscheinen, der so 
lange seine Stirne umleuchtet hat und sie für viele 
‚eider heute noch umgibt. Dem Verdienste seine 
Krone. Lassen wir Simrock sein Verdienst, 8r- 
kennen wir aber auch unpnarteiisch und offen das 
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