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Hans Sachs.
Tüchtigkeiten glänzend hervorthaten, und so befreundete man
sich auch mit der Dichtkunst jener Zeiten. Die Minnesänger
lagen zu weit von uns ab; die Sprache hätte man erst studiren
müssen, und das war nicht unsere Sache; wir wollten leben und
nicht lernen. Hans. Sachs, der wirklich meisterliche Sänger, lag
uns am nächsten. Ein wahres Talent, freilich nicht wie jene
Ritter und Hofmänner, sondern ein schlichter Bürger, wie wir
uns auch zu sein rühmten. Ein didaktischer Realismus sagte
uns zu, und wir benutzten den leichten Rhythmus, den sich wil-
lig anbietenden Reim bei manchen Gelegenheiten. Es schien
diese Art so bequem zur Poesie des Tages, und deren bedurften
wir jede Stunde.“
Im Jahre 1776 feierte Göthe den Nürnberger Freund in dem
lieblichen Gedichte: Hans Sachsens poetische Sendung,
das ganz in der allegorisirenden Weise des alten Meisters ge-
halten ist, und Wieland stimmte im Merkur mit ein. Seitdem
hat sich die Aufmerksamkeit der Forscher und Freunde unserer
Literatur auf ihn gerichtet. Es sind auch neue — freilich nur
unzureichende — Auszüge aus seinen Werken und Beschreibun-
gen seines Lebens erschienen. Dennoch wird er dem grösseren
Publikum fremd bleiben. Er hat in seiner Zeit gewirkt, und mit
Recht ist ihm von Kaulbach in seinem Zeitalter der Refor-
mation eine bedeutende Stelle gewiesen; auf die Nachwelt hat
jedoch nur der Dichter vollen Anspruch, der seine poetischen
Gedanken in schöne Formen gekleidet hat und so zur Klassicität
gelangt ist.
Immerhin hat unser Dichter auch in der Nachwelt eine
bleibende Spur. So wie der Erlkönig das Gepräge des von
Herder erschlossenen skandinavischen Volksliedes zeigt und ohne
dasselbe gar nicht denkbar ist, ebenso trägt die köstliche — frei-
lich von dem Hauche Göthe’scher Schönheit übergossene —
Legende vom Hufeisen ganz und gar die Signatur unseres
alten Meisters, für den das Sprichwort: „Schuster, bleibe bei
deinem Leisten“ so wenig gemacht ist. Zahlreiche Dichtungen
Göthe’s aus den siebziger Jahren sind überhaupt in der Manier
des Nürnberger Poeten geschrieben; ja mich dünkt, dass sogar
im ersten Theile des Faust ein ganz leiser, aber doch hörbarer
Hans - Sachsischer Ton klingt.
Wer aber bei Göthe geborgen ist, der ist‘ auf lange und
gut geborgen.
Karlsruhe.
Karl August Mayer.
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