Kastor und Pollux.
11
Damit fuhr sie ihm streichelnd über das weiche Locken—
haar und war ihm selbst behilflich, das Gefährt zu er—
klimmen.
Wie hätte sie ihm auch gram sein können, dem lieben,
holden Knaben, dem alle Welt gut war! Ihr angeerbter Ge—
schlechterstolz, der sich wohl sonst gegen den vertrauten Umgang
ihres Sohnes mit einem Knaben aus dem Handwerkerstand ge—
sträubt haben würde, kam hier zum Schweigen, und sie duldete
nicht bloß den Verkehr ihres Wilibald mit dem Sohn des Gold—
schmieds, sondern hatte gar ihr heimliches Wohlgefallen daran,
da sie den heilsamen Einfluß gewahrte, welchen der stille, sanfte,
sinnige Albrecht auf ihren wilden, trotzigen, leidenschaftlich er—
regten Knaben übte. Oftmals hatte sie unbeobachtet dem Spiel
der beiden zugeschaut und sich gesegnet, daß sie in der schwie—
rigen Aufgabe der Erziehung ihres unbändigen Knaben einen
Gehilfen bekommen hatte. Merkwürdig, wie sich der ungestüme
Wilibald von dem sanftmütigen Albrecht leiten ließ, obwohl er
um ein halbes Jahr älter war als sein Spielgesell, und wie
gut er sich mit ihm vertrug, während seine ältern Schwestern
ihre liebe Not mit ihm hatten und oftmals Ursach fanden, kla—
gend über den Starrkopf vor den Eltern zu erscheinen. Aller—
dings war der Wilibald als der einzige, sehnlichst erwartete
männliche Sproß des Geschlechts von den Eltern mit etlicher
Nachsicht behandelt worden, daß ihm manches durchgesehen und
nachgelassen ward, was unter andern Umständen wohl hart ge—
rügt worden wäre.
Die beiden Knaben hatten auf Wilibalds Bitte ihren Platz
neben dem Wagenlenker erhalten und plauderten tapfer drauf
los. Auch Frau Barbara war guter Stimmung: der herrliche
Maientag und die prangende Natur weiteten ihr das Herz zu
inniger Freude, und so stimmte sie leise mit ein in das Lenzes—