120
Sechzehnles Kapitel.
Gedanken: Wenn nun Gott in seinem Rat beschlossen hätte,
einen der Meinigen in meinem Abwesen von hinnen zu fordern,
und ich könnte nicht seine letzten Seufzer vernehmen und ihm
die Augen zudrücken? Er sprach jedoch diesen Gedanken nicht
aus, es war ihm, als müsse er sich vor der Ruhe des Gott—
vertrauens seines Weibes schämen. Und da er nun schwieg, so
nahm Schäufelein das Wort, indem er der Frau Agnes zufiel
und in den Meister drang, sich gegen die Reise nach Venedig
nicht länger zu sträuben.
Dürer sah den Sprecher ernst an, und in seinen Mienen
malte sich eine gewisse Verlegenheit. „Es ist noch etwas an—
deres“, sagte er, „was mir die Reise erschwert. Wenn ich gehe,
werde ich so bald nicht wiederkehren, denn das große Gemälde,
so man von mir heischet, wird viel Zeit erfordern; dazu hoffe
ich von den welschen Meistern noch dies und das zu lernen.
So wäre es denn geboten, daß ich meine Werkstatt auflöste und
Euch entließe, ihr lieben Gesellen. Und auch von euch wird
mir das Scheiden schwer, maßen ihr mir allewege treu gedie—
net und mir freundlich begegnet.“
Die Gesellen machten betroffene Gesichter und sahen einan—
der fragend an. Diese Rede war ihnen unerwartet, und Schäufe—
lein kam es wie Reue an, den Meister zur Reise gemahnt
zu haben.
Dürer las ihre Gedanken aus ihren Gebärden und fuhr
fort: „Freilich, ihr habet lange genug an einer und derselben
Stelle gestanden, und schier wie Eigennutz will es mir erschei—
nen, daß ich euch so lange zu meinem Dienst gezwungen, da
euch doch daran gelegen sein muß, auch anderer Meister Art zu
sehen und zu lernen. Und so will ich denn auch von mir ab—
sehen und mich um euretwillen freuen, daß sich euch eine neue
Thür aufthut.“