Volltext: Hans Sachs und die Heldensage (Band 1)

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Abschneiden des Haares ist, wie man sieht, ganz überflüssig, 
denn der „weyse“ könig, der nächtlicherweile mit einem Lichte 
am Bette seines knechtes stand, musste diesen ohne weiteres 
schon von Angesicht kennen, und es hätte ihm ein leichtes sein 
müssen, den Schuldigen trotz dessen List auch ohne Locke heraus- 
zufinden. Aber ganz im Gegenteil wird am nächsten Morgen der 
König völlig in Verwirrung gebracht durch den Umstand, dass allen 
Knechten in gleicher Weise wie dem Schuldigen das Haar geschnitten 
ist. Es zeigt sich hier deutlich eine Naht, die auf die Heranziehung 
einer andern als der oder den bisher benutzten Vorlagen hin- 
deutet, und mit Recht haben Fauchet, Manni u. A. auf den 
Dolopathos als diese Quelle hingewiesen. Hier jedoch erfolgt 
die Zeichnung des nächtlichen Besuchers nicht in dessen Schlaf- 
kammer, sondern im Gemach der Königstochter, welche sich 
freiwillig preisgiebt, durch diese selbst während des Beilagers Y. 
Wenn dann der Ritter sich wegbegiebt und alle andern Edel- 
leute des Palastes in gleicher Weise, wie es ihm geschehen, 
zeichnet, so übt hier die List, ganz im Gegenteil wie bei 
Boccaccio, eine volle, glaublich verwirrende Wirkung aus. 
Gegen die von V. Schmidt, Liebrecht-Dunlop u. A. heran- 
gezogene Quelle (cent. nov. ant. 98), welche dem ersten Teile 
unserer Novelle entspricht, bemerkt Landau, Quellen d. 
Dec.2 s. 75 mit Recht, dass dort nur die Worte: 
„L’imperadore medesimo volle provare la moglie, perche 
gli era detto, ch’uno suo barone giaceva con lei. 
Levossi una notte ed ando a lei nella camera. E quella 
gli disse: Voi ci foste pur ora un altra volta“, *) einen vorüber- 
‘) Irrtümlich bestreitet Val. Schmidt S. 15, den literarischen Zu- 
sammenhang zwischen Bocc. und Hebers’ Dolopathos. Nur bei Hebers 
findet sich der oben angedeutete Zug. Die Geschichte ist dort das Beispiel 
des 2, Weisen, in anderen Bearbeitungen die 5. Geschichte oder das 
3, Beispiel der Kaiserin. Schmidt folgt der letzteren Zählung. Also 
einer Fassung, welche jenen Zug nicht enthält. Daher sein Irrtum. 
vgl. Liebrecht-Dunlop S. 488 Anm. 8304. 
?) Die gleiche Erzählung, von Kaiser Friedrich II. berichtet, findet 
sich in einem Tractat: De fascinatione aus einem codex des 14/15 Jahr- 
hunderts. — vgl. Sitz-Ber. d. bayr. Akad. phil.-hist. Classe 1875, II. S. 248.
	        
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