Reptile und Sensationsskribenten.
bedürfnis von den Kasperlingen verwertet worden ist, müssen wir
es auf seine Schädlichkeit prüfen.
Ein 25jähriger Candidatus Juris und Dorfbarbier, Ferdinand
Stolle, eröffnete im „Literarischen Hochwächter“ mit einem Neu—
jahrsberichte aus der Unterwelt den Reigen. Seine Dichtung
bildet ein Pendant zu dem berühmten Briefe des „Dr. Hartmann“.
„Große Sensation hat die Ankunft des Kaspar Hauser gemacht.
Das ist eine höchst seltsame Geschichte, und obgleich unser Publikum
über das Geheimniß mehr weiß als das oberweltliche, so sind wir
noch immer nicht ganz im Klaren, da wir auch die Ankunft der
dabei betheiligten Hauptpersonen, die noch alle leben, erwarten müssen.
So viel ist indes heraus, daß Hauser sein bestialisches Schicksal der
teuflischen Rache eines Weibes verdankt, welche, von Hausers Vater
früher geliebt, entehrt und verlassen ward, als der Treulose ein
anderes Mädchen, Hausers nachmalige Mutter kennen lernte. Die
berstoßene Geliebte, welche einer sehr vornehmen Familie angehörte,
rächte sich nun in ihrer Verzweiflung und Eifersucht an dem erst⸗
zeborenen Sohn der glücklichen Nebenbuhlerin. Man lockte das Kind,
nachdem man die Aufseherin auf geschickte Weise entfernt hatte, an einen
Ort, in dessen Nähe sich ein steiler Abgrund (befand), wo man es
raubte. Die später suchenden und verzweifelnden Ältern aber machte
man glauben, als sei es in den Abgrund gestürzt, indem man das
Mützchen an einen uber den Abgrund hinaus ragenden Dornenstrauch
befestigte. Der Vater starb bald nachher in zerrütteten Vermögens-
umständen. Die Mutter mußte arm, wie sie vor ihrer Verheirathung
gewesen, die herrlichen Besitzthümer, welche den Gläubigern anheim—
fielen, verlassen. In diesem trostlosen Zustand erhielt sie ein herz⸗
liches Schreiben, worin sie zu der Familie jener verlassenen Geliebten
ihres verstorbenen Gemahls eingeladen wird. Sie schwankt lange.
Endlich zwingt sie die drückendste Noth, die Einladung anzunehmen.
Sie begibt sich also zu dem bezeichneten Schlosse. Hier kaum ange⸗
kommen, wird sie gewaltsam festgehalten und die Rache jener Ver—
stoßenen, welche unterdeß Gebieterin des Schlosses geworden, erreicht
die fürchterlichste Hüöhe. Eines Nachts nämlich wird die unglückliche
Mutter von gedungenen Henkersfäusten zu dem Käfig ihres todtge—
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