Full text: 1834-1884 (2. Band)

Reptile und Sensationsskribenten. 
bedürfnis von den Kasperlingen verwertet worden ist, müssen wir 
es auf seine Schädlichkeit prüfen. 
Ein 25jähriger Candidatus Juris und Dorfbarbier, Ferdinand 
Stolle, eröffnete im „Literarischen Hochwächter“ mit einem Neu— 
jahrsberichte aus der Unterwelt den Reigen. Seine Dichtung 
bildet ein Pendant zu dem berühmten Briefe des „Dr. Hartmann“. 
„Große Sensation hat die Ankunft des Kaspar Hauser gemacht. 
Das ist eine höchst seltsame Geschichte, und obgleich unser Publikum 
über das Geheimniß mehr weiß als das oberweltliche, so sind wir 
noch immer nicht ganz im Klaren, da wir auch die Ankunft der 
dabei betheiligten Hauptpersonen, die noch alle leben, erwarten müssen. 
So viel ist indes heraus, daß Hauser sein bestialisches Schicksal der 
teuflischen Rache eines Weibes verdankt, welche, von Hausers Vater 
früher geliebt, entehrt und verlassen ward, als der Treulose ein 
anderes Mädchen, Hausers nachmalige Mutter kennen lernte. Die 
berstoßene Geliebte, welche einer sehr vornehmen Familie angehörte, 
rächte sich nun in ihrer Verzweiflung und Eifersucht an dem erst⸗ 
zeborenen Sohn der glücklichen Nebenbuhlerin. Man lockte das Kind, 
nachdem man die Aufseherin auf geschickte Weise entfernt hatte, an einen 
Ort, in dessen Nähe sich ein steiler Abgrund (befand), wo man es 
raubte. Die später suchenden und verzweifelnden Ältern aber machte 
man glauben, als sei es in den Abgrund gestürzt, indem man das 
Mützchen an einen uber den Abgrund hinaus ragenden Dornenstrauch 
befestigte. Der Vater starb bald nachher in zerrütteten Vermögens- 
umständen. Die Mutter mußte arm, wie sie vor ihrer Verheirathung 
gewesen, die herrlichen Besitzthümer, welche den Gläubigern anheim— 
fielen, verlassen. In diesem trostlosen Zustand erhielt sie ein herz⸗ 
liches Schreiben, worin sie zu der Familie jener verlassenen Geliebten 
ihres verstorbenen Gemahls eingeladen wird. Sie schwankt lange. 
Endlich zwingt sie die drückendste Noth, die Einladung anzunehmen. 
Sie begibt sich also zu dem bezeichneten Schlosse. Hier kaum ange⸗ 
kommen, wird sie gewaltsam festgehalten und die Rache jener Ver— 
stoßenen, welche unterdeß Gebieterin des Schlosses geworden, erreicht 
die fürchterlichste Hüöhe. Eines Nachts nämlich wird die unglückliche 
Mutter von gedungenen Henkersfäusten zu dem Käfig ihres todtge— 
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