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NRünftes Rapitel.
Während das Brautpaar im Erkerzimmer des ersten Geschosses
plauderte, war Eva zur Ausführung ihres Planes geschritten. Sie
vermutete, daß, wenn irgend jemand im Hause etwas von Helenas
Geheimnis wüßte, es Brigitte sein müßte, nicht als ob das junge
Edelfräulein ihre Dienerin zur Vertrauten gemacht haben würde,
sondern weil die Beschließerin meist Helena auf ihren Ausgängen
begleitete; und nur auf solchen konnte die Freundin eine Be—
kanntschaft gemacht haben, von der Eva nichts wußte. Um
einen Herrn aus dem engeren Freundeskreis aber konnte es sich
nicht handeln, das war dem kleinen Fräulein klar. Gewiß hatten
sich bereits viele junge Kavaliere um das schöne, reiche Mädchen
beworben, diese war jedoch zu allen stets gleich freundlich, aber
zurückhaltend gewesen und hatte nie einen bevorzugt oder ermutigt.
So hatte denn auch noch keiner gewagt, beim Vater um ihre
Hand anzuhalten.
Eva stieg daher zunächst in das obere Stockwerk zum
Zimmerchen ihrer alten Freundin hinauf, deren besondrer Liebling
sie, nächst Helena natürlich, war.
Wie erstaunte sie, als sie in dem sonst so ordentlichen und
sauberen Stübchen die größte Unordnung erblickte! Alle Kasten
waren aufgezogen und ihr Inhalt, anscheinend in Hast, halb
auf den Boden entleert. In der Mitte des engen Raumes
stand die Bewohnerin desselben hochrot vor Eifer und hielt ein
kleines, goldenes Kettchen in der Hand, das sie mit funkelnden
Augen betrachtete.
Brigitte war in den Anblick desselben so vertieft, während ihr
voller Busen auf und nieder wogte, daß sie weder Evas Klopfen
noch ihren Eintritt bemerkt hatte. Erst auf ihre Frage: „Aber
was hast Du denn, Brigitte?“ schrak sie zusammen und wollte
schnell das Kettchen verbergen.
„Ach, nichts Besonderes,“ antwortete sie verlegen, „ich habe
nur etwas gesucht, was ich verlegt hatte. Aber was wünschest
Du, Kind?“
In ihrer Aufregung vergaß sie ganz die zeremoniöse Anrede,
mit der sie Eva seit ihrer Einsegnung ansprach.
„O, nichts von Bedeutung, ich wollte Dich nur fragen, —“
meinte diese, nun ihrerseits etwas verlegen, da sie sich einen
Grund für diesen Besuch vorher nicht überlegt hatte — „aber