Volltext: 1834-1884 (2. Band)

Thränen. 
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wohl einer Spielpuppe aus Nürnberg, aber den verkümmerten Ge— 
lenken eines lebenden Wesens gar nicht, Herr Professor!), und nahm 
ihn auf den Rücken; Kaspar umfaßte den Mann am Halse und 
dieser die Beine Kaspars.“ O. 
XXXVI. Er weint, beruhigt sich aber, denn er soll zu seinem 
Vater kommen und Reiter werden. 
Das war erst das zweite Mal in seinem Leben, daß Kaspar 
weinte, das erste Mal war durch den ersten und letzten Stockschlag 
veranlaßt worden. Hermann berichtet: „Er hat nie — irgend 
Schmerz und Störung (Krankheit) empfunden bis gegen das 
Ende feines Aufenthaltes in diesem Käfig.“ Demnach wäre die Ge— 
schichte eigentlich nicht so grauenvoll gewesen. Von dem Tage an 
aber, da Kaspar auch das Weinen gelernt hat, macht er davon einen 
sehr langweiligen Gebrauch. Man weiß, mit welchen Redensarten 
die Heiligenleben ausgefüllt werden, um den Mangel an Inhalt zu 
verdecken. So macht es auch der angebliche Autobiograph Kaspar. 
Die Lektionen im Käfig werden etliche Male verherrlicht durch das 
Ereignis: „ich aß ein wenig Brod“, oder: „ich aß ein Brod.“ Noch 
häufiger greift er zum frischen Trunk. Nach der ersten Lektion: „ich 
wollte auch trinken, aber es war kein Wasser mehr darin“ (im 
Krüglein); nach der zweiten Lektion: „ich trank mein wenig Wasser 
aus“ (was er dann aus dem leeren Eliaskrüglein wiederholt). Auf 
der Reise wird genau angegeben, wie oft er trinkt. Dann aber 
schläft er ein“, beim Austragen und während der Gehstunden bloß 
zehnmal. Endlos aber ist die Litanei (er sah im Turm, wie das 
wirkte): „ich fing an zu weinen“, bis in Nürnberg mehr als zwan— 
zigmal, ohne daß er darum verweint ausgesehen hätte. Ebenso leiert 
sein Doppelgänger sechsmal: „du mußt gleich aufhören zu weinen, 
sonst kriegst du keine schöne Roß.“ Weinen, Schlafen und Hin⸗ 
starren sind nämlich drei bewährte Hausmittelchen gewesen, wodurch 
K. H. aus jeder kritischen Lage sich mit Leichtigkeit herauszureißen 
vermocht hat. Wie fest ihn Feuerbach im Stalle des Rittmeisters 
eingelullt, haben wir schon gehört. Dies verschaffte dem Seelenver— 
hrecher außerdem noch den Vorteil, Kaspar nach Nürnberg fahren
	        
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