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Kaspars Kerkerleben.
Gefangenhaltung habe ich gar nie auch nur das Geringste gehört.
Als ich den ersten Laut der Glocke hier in Nürnberg auf dem Thurme
des Hiltel vernommen, gefiel mir solches zwar wohl, es machte jedoch
einen ganz sonderbaren Eindruck auf meine Ohren, welche es sonder⸗
bar erschüttert hat. Uebrigens habe ich nie irgend einen Laut oder
Geschrei eines Thieres, ja sogar nie weder Donner noch Blitz wahr—
zgenommen.“
Um alles in der Welt aber, wie ist das möglich, wenn man
bloß durch zwei „Glastafeln“ (IV. 3) von der Außenwelt getrennt lebt?
Befinden wir uns da noch immer (I1) „ebener Erde?“ Nicht doch!
Daumer hat schon längst die ganze Geschichte in eine Versenkung
herabgelassen, sie spielt ohne Warnung schon längst unterirdisch.
Daß man auch im Keller ein Gewitter sehr gut hören kann, daran
wollen wir Petzholdt zu lieb nur gar nicht denken.)
3. Es war nun allerdings von seiten Kaspars etwas viel ver—
langt, daß das „Ungeheuer“ in diesem „finstern Loch“ ihm etwa
einen Regenbogen hätte zeigen sollen! Und doch hat der Philo—
soph Ludwig Feuerbach folgende Geschichte geschrieben, und der Philo—
soph Daumer hat dieselbe als verbürgt herausgegeben. „Das Ein—
zige in der Natur, worüber er ein Wohlgefallen äußerte, war ein
Regenbogen. Bei diesem Anblicke äußerte er auch, daß er so Etwas
noch nie gesehen habe, und wunderte sich, daß es ihm, wiewohl es
so schön sei sein Vater (‚oder Wärter? Das Wort ist mir
undeutlich“, bemerkt Daumer, uns aber genügen beide Lesarten!)
nicht habe sehen lassen.“ Das war wieder mal „verschnappt“,
hester Junge, aber deine Pappenheimer machten dir wohl wenig
Sorge. Es kommt nämlich viel schlimmer.
t) „Daß er in seinem Käfig kein Glockengeläute, keinen Donner, noch
anderes von Außen eindringendes Geräusch und Töne vernahm («es ist ihm sogar
nicht erinnerlich, daß er eine Thüre öffnen und schließen oder gehen gehört), davon
liegt wohl auch der Grund in seinem psychischen Zustande.“ So Daumer, der
diesen Zustand, wie er wirklich hätte sein sollen, einen dumpfen, reflexions—
losen nennt, der in dem Mythus aber gar nicht vorkommt. Der furchtbare
Schwindel mit den Erinnerungen aus der Kindheit im 9. Kapitel wird jeßzt noch
inleuchtender.