Binders Roman.
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wird daher wohl thun, in der Fassung der zu erlassenden Bekannt—
machung sehr behutsam zu sein, um sich in keinem Falle kompro—
mittiert zu sehen.“ Der Magistrat war aber nicht „behutsam“ ge—
wesen, und die Sache selbst war von vornherein verpfuscht. Nicht
gegen Kaspar Hauser wurde eine Untersuchung auf Betrug eingeleitet,
sondern auf Grund seines Betruges wurde das Verbrechen der wider—
rechtlichen Gefangenhaltung nach Art. 192 Teil J des Strafgesetz—
buches und der Aussetzung hilfloser Personen nach Art. 174 ff. be—
gründet. Wir werden aber sehen, daß der Appellgerichtshof in
Ansbach diese Begründung mit Recht romanhaft genannt hat.
Bekanntmachung.
Einen in widerrechtlicher Gefangenschaft aufgezogenen und gänzlich
verwahrlosten, dann aber ausgesetzten jungen Menschen betr.)
Vom Magistrat
der Königlich Bayerischen Stadt Nürnberg
wird hiemit ein Fall zur allgemeinen öffentlichen Kenntnis gebracht,
der so merkwürdig und in seiner Art vielleicht so unerhört ist, daß
er nicht nur die Aufmerksamkeit aller Polizei- und Justiz⸗, Civil—
und Militär-Behörden, sondern auch die Teilnahme aller fühlenden
Menschen unseres Vaterlandes in Anspruch nimmit.
Am zweiten Pfingstfeiertage, Montag den 26. Mai d. J., nach—
mittags zwischen 4 und 5 Uhr begegnete) einem hiesigen Bürger,
am Eingange der Kreuzgasse dahier, bei dem s. g. Unschlitt-Platze,
ein junger Mensch, dem Anscheine nach 16 bis 18 Jahre alt, ohne
Begleitung und fragte ihn nach der Neuthorstraße. Der Bürger
erbot sich dem jungen Menschen den Weg dahin zu zeigen und be⸗
gleitete ihn; während dessen zog dieser aus seiner Tasche einen ver—
siegelten Brief, worauf die Adresse stand (wie oben S. 7), und dies
bewog den Bürger, mit ihm auf die Wache vor dem neuen Thor zu
gehen, um dort am ersten Auskunft zu erlangen. Auf dem weiten
Weg dahin suchte der Bürger ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen,
überzeugte sich aber bald, daß wegen Mangels an Begriffen bei ihm
Aljo: begegnete (vgl. Anm. S. 39.