Volltext: 1828-1833 (1. Band)

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Am 26. Mai 1828. 
Nach den historisch (sogar formell juristisch) feststehenden That— 
sachen des 26. Mai 1828 haben wir also in Kaspar Hauser nichts 
Besonderes vor uns. Er war ein gesunder, katholischer Bauern— 
bursche aus einem ziemlich genau umschriebenen Teil Bayerns, der 
den gewöhnlichen Schulunterricht seiner Zeit und seines Standes ge— 
nossen hat, ein faktischer Vegetarier (wie in seinem Stande häufiger 
der Fall ist, als die guten Nürnberger ahnten), er kannte, liebte die 
Pferdei) und kam auch über Neumarkt und Regensburg nach Nürn— 
berg, um Dienst bei der leichten Reiterei zu nehmen. 
Er hatte seine „Siebensachen“ alle zusammengekramt und kam ohne 
einen Heller in Nürnberg an. Diese Thatsache des festen Entschlusses 
einer Lebensaͤnderung zeigt sich nicht bloß aus seinem ganzen Be— 
nehmen, sondern liegt noch in dem Ausdruck, sein Begleiter habe 
ihn ans große „Dorf“ geführt, eine Wendung, die an „ins Dorf 
(Darf) gôn“ (— aus dem Hause gehen) erinnert. Allein er kann 
sich nicht legitimieren, in seiner Vorgeschichte giebt es etwas zu ver— 
decken. Er läßt nicht ausforschen, wo er her ist, und hat möglichst 
jede Spur dahin verwischt: aus dem Hut, aus dem Gebetbuch sind 
die Namen entfernt, und so auch die Buchstaben des Hand— 
werkssiegels, womit der Brief an den Rittmeister rot verschlossen 
war (G. J. R. oder G. T. R.) verkratzt worden. Auch die beiden 
Briefe, sehr ungeschickte Fälschungen, sollten dem Zweck, Soldat zu 
werden, zugleich aber weitere Nachforschung zu vereiteln, dienlich sein. 
Er schießt, wie später noch unzähligemal,?) ziemlich weit über das 
Ziel hinaus, denn die Angabe des Pflegevaters: „ich habe ihn mitten 
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i) Vorgreifend sei hier noch bemerkt, daß man während Kaspars Leben, 
unter ausdrücklicher Berufung auf seinen Reitlehrer, ohne irgend welchen Wider— 
spruch, wiederholt hat drucken lassen, er sei in Nürnberg sofort ein sattel— 
fester Reiter gewesen. Erst nach seinem Tode strich man, um diese Blöße zu 
decken, die Segel. Kaspar hat also den 26. Mai 1828 gewiß nicht aus Scherz 
alte Reithosen getragen! 
2) So begehrte er nach der Protokollsbemerkung vom 7. Juni (Magistrats⸗ 
akten Fol. 26, Auth. Mitth. S. 90), daß sein „Inquierent sich auf das von dem 
Polizei-Soldaten Hermannsdörffer beigebrachte, auf Rädern stehende kleine hölzerne 
Pferd setzen follte!“ Wenn man solche Späße ernst nahm, wäre er kein „Tier— 
mensch“, sondern einfach verrückt gewesen.
	        
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