Auf dem Appellationsgericht.
Ich bedauere, hier nicht die „Notizen über Kaspar Hauser von
J. G. Meyer, Ansbach 1834* vollständig aus- den Authentischen
Mitteilungen (8. 413-502) herübernehmen zu können, denn die
Beobachtungen des Lehrers sind charakterologisch das beste, was je
über Kaspar Hauser geschrieben worden ist. Eine der letzten Epi—
foden aber möge den unverbesserlichen Lügner kennzeichnen.
Am Montag den 9. Dezember zog er sich in der einen Unter—
richtsstunde von 5 bis 6 Uhr abends noch eine ernste Rüge zu,
welche sein Lehrer dem Kreis- und Stadtgericht Ansbach „ganz getreu
und umständlich“ wie folgt erzählt hat.
„Ich gab ihm zu Anfang der Stunde ein Sprachheft zurück
mit dem Bemerken, daß eben hier schon wieder ein Blatt
herausgeschnitten wäre, obgleich ich ihn deshalb schon so oft
getadelt und es ihm so bestimmt untersagt hätte.“ Daraus entstand
der folgende Dialog.
H.: Ja, ich hatte auf das Blatt einen Flecken gemacht, und
den wollte ich nicht in der Schrift haben.
M.: Sie werden mir wohl nicht zumuten, daß ich Ihnen dies
unbedingt glauben soll?
H.: Warum wollen Sie es denn nicht alauben? Es ist gewiß
wahr.
M.: Sie kennen doch das Sprichwort: „Wer einmal lügt, dem
glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“ — und
Sie, lieber Freund, lügen wohl täglich öfter als einmal.
H.: Ich habe nicht mehr gelogen, seitdem ich Ihnen damals
(es ist die S. 133, Nr. 68 erwähnte Unwahrheit gemeint) versprochen
habe, nie mehr lügen zu wollen.
M.: Dies getrauen Sie mir wirklich ins Gesicht zu sagen.
H.: Nein, ich habe seitdem nicht mehr gelogen! Sagen Sie
mir nur, wann! Sie können mir nichts beweisen.
M.: Wenn ich Ihre häufigen Unwahrheiten nicht immer berede,
o bestimmt mich dazu allein die nach und nach gewonnene Über—
zeugung, daß ich Sie doch nicht von Ihrer Hauptkrankheit zu heilen
im stande bin. Warum soll ich mich dann immer vergeblich ärgern?
Sie sind gewohnt, so lange fort nein und immer nein zu sagen, bis