Volltext: Kaspar Hauser

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Am 14. Dezember erschien Kaspar mit einer tiefen 
Wunde in der Gegend des Herzens in der Wohnung des 
Lehcers Meyer. Wie er sagte, hatte ihn ein Mann in den 
Schloßgarten bestellt, um ihm Nachrichten über seine Eltern 
zukommen zu lassen. Kaspar siellte sich pünktlich ein. 
Während er von dem Unbekannten einen Beutel mit Schrift⸗ 
stücken in Empfang nehmen wollte, versetzte ihm dieser den 
fürchterlichen Stich. Derselbe erwies sich als tötlich, und 
trotz der sorgsamsten Pflege starb Kaspar Hauser am Abend 
des 17. Dezember. 
Auf den ersten Blick erscheint es, als läge hier un— 
bedingt Mord vor. Herr v. Artin u. a. erklären den Selbst⸗ 
mord schon deshalb für ausgeschlossen, weil für diesen nicht 
der geringste Grund existierte. Ein Grund für Selbstmord 
ließe sich aber doch schon denken. Kaspar merkte die 
wachsende Entfremdung gegen ihn, hegte Angst, über kurz 
oder lang als Betrüger überführt zu werden, hatte sich 
vielleicht schon wiederholt verraten und sah sich nun dem 
Spott und Elend preisgegeben. Solches Gefühl, gemischt 
mit wirklicher Reue über den Betrug, ist schon geeignet. 
Selbstmordgedanken zu erwecken. 
Weit wahrscheinlicher aber ist es, daß Kaspar nicht 
beabsichtigte, sich den Tod zu geben, sondern nur, sich zu 
verwunden. Schon einmal, 1829, hatte er empfunden, daß 
das Interesse an ihm nachließ, und hatte dies durch Vor— 
spiegelung eines gegen ihn ausgeführten Mordversuches wieder 
zu beleben verstanden. Ein solches Mittel ließ sich zum 
zweiten Male anwenden. Wenn es aber diesmal Wirkung 
haben sollte, durfte es nicht mit einem Hautritz abgehen, 
sondern eine wirkliche tiefe Wunde mußte da sein. Durch 
die Verwundung hoffte Kaspar bald wieder im Glanzpunkte 
seiner Rolle zu stehen. Das Aufsehen, das sie erregte, mußte 
noch viel gewaltiger sein, als nach der leichten Verletzung
	        
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