Full text: Mein Kriegs-Tagebuch vom 29. Juli bis 1. September 1870

machen, fie fchien fih ganz auf die Kraft ihrer Fingernägel und den in ihrer 
Hand befindliHen Scdhlüffelbund zu verlaffen. 
Der erite SGefehtsmoment endete mit einem Vordringen unfjerer Seit8 in 
die Hanusflur, wo der Gegner durch den Herbeigefommenen Chegemahl verltärkt 
wurde, der un8 fofort fein Cigenthum räumen hieß. 
Eine Stube, die wir durch die auf die Straße gehenden Feniter bereits 
beaugenicheinigt Hatten, mar verichloffen. 
»Ouvrez cette porte!« »Quittez ma maisou!« fo ging der Streit hin 
und her, den ih länger fortzuießen durhaus nicht gewillt war. Ih rief die 
Bedienten, um die Thüre gewaltjam zu Öffnen. Aber da Hätte man die Alte 
jehen follen. Jeder ZoW ein Pantherthier, ftürzte fie auf die Breidhemacher 
und Ihlug ganz unbarmherzig mit dem Schlüjjelbunde darauf 108. AUIS ich 
folgen Widerftand fah, ging mir deun doch die Geduld aus, id padte die 
Holde, nahm ihr die Schlüffel, zeigte ihr den Revolver, und jpervte die Thüre 
auf. Sie war ganz {tarr vor Schrecken, und wäre HZemand zum Auffangen 
in der Nähe gewejen, fo wäre fie vielleicht ohnmächtig umgefaken, was aber, 
da der einzige Helfer, der Chegeipons, bereit3 auf die Straße dirigirt war, 
unterblieb. 
Wir machten e8 un8 bald bequem, die unterlegene Unfchuld lief jedoch 
jÖnurftrads zum Ortsfommandanten und Magte über SGemwaltthätigkeit, So 
"ort Fam eine Patrouille, die natürlidH fig Angefihts des inzwiichen herbei: 
zefommenen Hauptmanns wieder zurüczog. 
Das mahHnwibige SGebahren hatte die Zolge, daß das Haus außer mit 
drei Offizieren noch mit der Hälite der Mannjdhaft der Negimentsmufif belegt 
murde, worüber die Wuth der Biederleute aufs Höchfte ftieg. 
Nichts war natürlicher, als daß die Soldaten nah ANusziehen ihrer Fuß“ 
bekleidung in die in Malie herumftehenden Sabots (Hokzihuhe) HineinjHlüpften- 
Dies fehend ging die Alte fofort wieder zum Kommandanten und diesmal 
wurde der Wdjutant des Bataillons gefchickt, um zu unterfuchen, in wie weit 
°8 wahr märe, daß Soldaten Stiefel ftehlen. Nach Ermittlung des Thatbe- 
jtandes wurde ihr angedeutet, daß ihr nochmaliges Erideinen und Dorbringen 
einer unbegründeten ‚Klage ohne weiteres das in Frankreid fogenannte 
»fusiller« nad) fich ziehen mürde, worauf fie denn wirkliH in Ohnmacht fiel. 
Das gebührende Stroh Herzufhaffen Mihlte id der Citoyen gar nicht be: 
mwogen, und eben war ich befhäftigt, die Thür der Scheune ohne Schlüflel zu 
dffnen, al8 mir diefer von einem weinenden Mädchen eingehändigt wurde, das 
mir erflärte, daß fie den Soldaten fchon bis auf Weniges Alles gegeben Hätte. 
Diefe Scheune gehörte nämlich zum Nadhbarhaus, das ein alter Mann mit 
diejer, feiner Enkelin bewohnte; der Strohboden unjeres Hauseigenthümers da 
gegen befand fidh in einem angebauten Hinterhans und bie Veiter, die zu dem: 
jelben führte, mar hinaufgezogen. 
Mit mephijtophelifcher Freude {ah der gute Mann den erften Berfuch, 
hinauf zu gelangen, mißlingen; als aber auf often einer Hühnerfteige und 
anderer bereit8 verwendeter Sachen eine SGelegeuhHeit hiezu Hergeftellt murde und 
ihm ein Interveniren etwelche NRippenjtöße eingetragen hatte, madte er fich von 
dannen, verjdhiedene »Sacre nom de Dieu« zwijchen den Zähnen hervorpreffend. 
Yun hatten wir endlid Ruhe. Nur fpät Abends Fam er noch einmal, uns 
zrflärend, daß er feine Betten Hinausihaffen wolle; der erfte Berfudh hiezu trug 
‘hm natürlich eine Luftreife auf die Straße ein. Daß wir im Haufe nichts er: 
halten konnten, mar dem Kriegerifhen Verlauf des Tages nach wohl zu fließen,
	        
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