tung vielfach abgeschlossenen Erzählungen seinen Gedanken nur
eine allgemeine Richtschnur boten. Er hat die Freiheit trefflich
benutzt. Kein schriller Wechsel der Tonart, keine Sprünge in der
Empfindungsweise werden in der Blätterfolge bemerkt. Die Passions-
szenen, welche seine Vorgänger gewöhnlich dem Marienleben ein-
geflochten haben, vermeidet er sorgfältig und deutet nur durch die
Abschicdsszene Christi von seiner Mutter (B. 92), che er die letzte
Reise nach Jerusalem antritt, die dunkle Seite ihres Lebens an.
Und selbst hier erscheint sie trotz der Hoheit, welche Dürer der
Gestalt Christi verlichen hatte, als die wahre Heldin der Handlung
und hält ihre Mutterwürde und liebevolle Hingebung an den Sohn
aufrecht. Welche Tonart im Marienleben vorherrscht, das sagen
dem Auge die drei Hauptblätter der Folge: die Geburt Mariä
ıB. 80), die Flucht nach Ägypten (B. 89) und die dauernde Rast
daselbst (B. 90).
Dürer war kein fröhlicher Mann. Er mag nur selten in seinem
Leben laut gelacht haben, und in seinen Zeichnungen, in welchen
er doch seine ganze Natur enthüllt, stossen wir kaum ein bis zwei-
mal auf ungebunden lustige Gestalten. Dafür besass er ein feines
Verständnis für ein stillgemütliches Dasein und gebot seine Phan-
tasie über die fesselndsten Züge sinnigen Humors. Welch ein an-
heimelndes Gemälde von einem kleinbürgerlichen, behaglichen Leben
schuf er nicht in der Geburt Mariä! Das Ereignis hat die befreun-
deten Nachbarn aus dem Alltagsleben aufgerüttelt. Die Gevatterinnen
eilen teilnehmend und hilfreich herbei, um die Wöchnerin zu pflegen
und die Familiensorgen ihr abzunehmen. Diese ruht ermattet in
einem Himmelbett im Hintergrunde und wird durch Speise und
Trank von zwei Wärterinnen gekräftigt, während die Wehmutter
sich von den Anstrengungen des Berufes durch einen tiefen Schlaf
am Rande des Bettes erholt. Den Vordergrund nehmen geschäftige
Frauen ein. Sic haben (rechts) dem Neugeborenen ein Bad bereitet
und bemühen sich (links), ein älteres Kind durch Spiel und Zuspruch
ruhig zu erhalten. So viel Eifer und Arbeit macht die Kehle durstig.
Es gilt auch das Familienfest würdig zu feiern. So sehen wir denn
auch eine wackere Alte aus dem Weinkruge sich laben und in
der andern Gruppe rechts eine Frau der Nachbarin den Becher
reichen. In der Mitte zwischen den beiden Gruppen wandelt ein
junges Mädchen, die Wiege unter einem Arm, einen Krug in der
andern Hand, die anmutigste, formenreinste Gestalt, welche Dürer
jemals geschaffen hat. In einem ganz frischen Drucke muss man