Thatsächlich aber hat die empirische Forschung das
Thema bisher kaum in Angriff genommen, obwohl, wie
ein moderner Theoretiker mit Recht sagt, die Beleuchtung
von Receptionen und Renaissancen eine Hauptaufgabe der
geschichtlichen Wissenschaft unserer Tage ist. Solche
Receptionsforschung kann nur lokal vorgehen; die ihr ge-
widmeten lokalen Einzeluntersuchungen aber haben ge-
rechten Anspruch darauf, nicht zu der gewöhnlichen Lokal-
historie gerechnet zu werden, eben weil sie einen Beitrag
zu der Geschichte nicht sowohl eines einzelnen Ortes
als der Entwicklung einer bedeutsamen Gresamtkultur-
erscheinung zu liefern bestrebt sind. Um so mehr, wenn
as sich wie hier um den umwälzendsten Hergang der
deutschen Bildungsgeschichte und um diejenige Stadt
handelt, der an politischer und kultureller Bedeutung sich
in jener Übergangszeit kaum eine zweite an die Seite
setzen kann. In diesem Sinne sei es hier versucht, den
Hergang der Reception des Humanismus in Nürnberg fest-
zustellen. Und um das Ergebnis gleich vorweg zu nehmen:
der populäre Instinkt, der sich die Huttensche Anschauung
zu eigen macht, ist durchaus im Unrecht; weit entfernt, in
der Begünstigung des Humanismus andern deutschen Städten
voranzugehen, hat sich die Stadt Nürnberg vielmehr der
neuen Bildung gegenüber ungewöhnlich lange Zeit geradezu
ablehnend verhalten. Was wir hier zu erzählen haben, ist
die Geschichte eines Kampfes, der fast ein halbes Jahr-
hundert gedauert hat.
Der Grund dieser Erscheinung liegt, wie ich glaube,
durchaus in Nürnbergs socialpolitischen Verhältnissen.
Während anderwärts fast überall nach schweren Kämpfen
die Zünfte am Regiment waren, war hier der Versuch, die
Aristokratie in eine Demokratie umzuwandeln, vollständig
gescheitert und seit der Mitte des 14. Jahrh. nicht wieder-
holt worden. Die Geschlechter hielten das Heft in Händen.