Soziale Fürsorge
8. Städtische Kartoffelstelle.
Kalenderjahr 1919. Zu Beginn des Jahres 1919 konnten noch 5 Pfd. Kartoffeln
auf den Kopf der Bevölkerung berteilt werden. Ende Januar setzte dann eine starke Kälte ein,
welche die Zufuhr vollständig unterband, so daß in den ersten drei Wochen des Februar nur
Kohlrüben statt Kartoffeln abgegeben werden konnten. Mit Beginn des Monats März
zeigte die Kartoffelanlieferung infolge des Witterungsumsturzes ein derartig günstiges Bild,
daß wir pro Kopf der Bevölkerung 4 Pfd. hinausgeben konnten. Ein kleiner Teil der not—
wendigen Mengen wurde von den Erzeugern im Stadtgebiete durch Beschlagnahmung seitens
des Arbeiter- und Soldatenrates des III. B. A.K. im Einvernehmen mit der städtischen Kar—
toffelstelle hereingebracht. Mit Eintritt der politischen Wirren im April verschlechterte sich die
Kartoffelversorgung ganz bedeutend; die Zufuhren blieben außerordentlich knapp. Durch
wiederholte mündliche und schriftliche Vorstellungen bei den zuständigen Landesstellen wurde
ein Angebot in en glischen Kar toffeln gemacht, welches, wenn auch unter ungünstigen
Bedingungen, freudig angenommen wurde. Die Anlieferung der englischen Kartoffeln, die
Ende Mai einsetzte, hat jedoch sehr enttäuscht, da sie von äußerst schlechter Qualität waren und
in Anbetracht des hohen Preises (per Pfd. 38 9) bei den Händlern und dem Publikum Unzu⸗
friedenheit auslösten. Im Juni und Juli 1919 bekamen wir außer den englischen noch dänische
und schweizerische Kartoffeln herein. Mit den englischen Kartoffeln machten wir dann
immer schlechtere Erfahrungen. Ganze Waggons waren vollständig unbrauchbar und nicht
einmal für Trocknungs- und Futterzwecke zu verwenden. Zirka 20 000 Ztr. mußten erst auf
Lager genommen und ausgelesen werden. Durch verdorbene Ware, Abfall und Schwund
hatten wir einen Verlust von etwa 10 ooo Ztr. Insgesamt wurde an ausländischer Ware ein⸗
zeführt: 31 209 Ztr. englische Kartoffeln, 3758 3tr. dänische Kartoffeln, 10 386 Z3tr. schweizerische
Kartoffeln. Die geringen Mengen inländischer Kartoffeln, welche im Juni und Juli in Einlauf
gelangten, wurden laut Beschluß des Stadtrates in den städtischen Verkaufsstellen zum Preise
von 10 5 per Pfund an Erwerbslose und Familien von Kriegsgefangenen hinausgegeben. — Mit
Beginn des Monats August setzte die Fr ühkartoffelversorgung ein. Aus den
bayerischen Produktionsgebieten bekamen wir nur geringfügige Mengen herein, dagegen wurden
aus Vorddeutschland (Magdeburg und Provinz Brandenburg) größere Quantitäten herein—
geschafft. Ganz besonders stützte sich unsere Bersorgung auf die Zufuhren aus Holland.
Es wurden rund 28 0 Ztr. holländische Kartoffeln eingeführt. Die Ware war im allgemeinen
entsprechend; je nach Eingang konnten wir in den Monaten August und September 3—65 Pfdb.
Kartoffeln pro Kopf abgeben. Ende September waͤr die Frühkartoffelverforgung beendet
und die Winterversorgung begann. Diese erfolgte nach den gleichen Grundsätzen
wie im Vorjahre. Der Bevölkerung wurde wieder Gelegenheit gegeben, sich durch Bezu g—
scheine selbst einzudecken. Gleichzeitig konnten Industriebetriebe, Konsumgenossenschaften
und andere wirtschaftliche Berbände den Gesamtbedarf ihrer Arbeiter und Angestellten an
Winterkartoffeln anmelden. Im ganzen wurden über 55 ooo Bezugscheine an die Bevölke—
rung zum Selbsteindecken hinausgegeben, so daß wohl zwei Drittel der hiesigen Bevölkerung
mit Winterkartoffeln voll eingedeckt waren, während das andere Drittel, rund 130 000 Per—
sonen, auf die Wochenversorgung angewiesen blieb. Die Spätkartoffelernte ist im
Durchschnitt mittelgut qusgefallen; trotzdem war die Zufuhr im Vergleich zu den Vorjahren
äußerst knapp. Der Hausßtgrund liegt in der mangelnden Abgabewilligkeit der Erzeuger, denen
der festgesetzte Höchstpreis von 7,28 M zu niedrig war und welche, nicht mit Unrecht, hofften,
in den Wintermonaten bei eintretenden Ernährungsschwierigkeiten für ihre Kartoffeln höhere
Preise bewilligt zu erhalten. Hier wären Zwangsmaßregeln der Regierung gegen die Erzeuger
am Platze gewesen. In den Monaten Oktober, November und Anfang Dezember wurden
auf den Kopf der noch versorgungsberechtigten Bevölkerung 3 Pfd. verteilt. Ein Teil der ein—