Volltext: Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg des Jahres 1919 (1919,1 (1920))

Soziale Fürsorge 
51 
zu verwenden. Im allgemeinen aber mußten gerade die Eltern immer wieder zu der Über— 
zeugung beeinflußt werden, daß auch den Frauen nur eine gute Berufsausbildung und die Be— 
fähigung zu vollwertiger, verständnisvoll geleisteter Qualitätsarbeit die düstere Zukunft er— 
hellen wird. 
In einer Industriestadt wie Nürnberg mußten die wirtschaftlichen Verhältnisse nach 
den eingetretenen Ereignissen drückend fühlbar werden. Zu der Not der Arbeitslosigkeit ge— 
sellten sich die Ernährungs- und Wohnungsschwierigkeiten. Oie Absschiebumg von Ar— 
beitsk r äften auf das Land wurde zur brennenden Frage. Leider gelang es nur 
ganz vereinzelt, junge Mädchen in guten Familien auswärts unterzubringen, auf dem Lande 
selbst war das Ergebnis gering. Dort lebte das Vorurteil gegen städtische Hilfskräfte in dem 
Begriff „Munitionsfräulein“ — nicht immer zu Unrecht. 
Die Auflösung der militärischen Formationen zog auch die plötzliche Arbeitslosigkeit 
der vielen weiblichen Hilfskräfte im Sanitätswesen nach sich. Von aller— 
orts wendeten sich ratsuchende Kriegspflegerinnen an die Beratungsstelle, die teils weitere Aus— 
bildung in der Krankenpflege, teils sofortiges Unterkommen im Pflegedienst als Wärterinnen an— 
strebten. Es gelang, eine Anzahl gut qualifizierter Pflegerinnen bei Krankenhäusern und Heil— 
und Pflegeanstalten für Geisteskranke unterzubringen. 
Mit regem Interesse wurde die enge Verbindung mit der Schule gepflegt. Schon 
vor den Weihnachtsferien, im ersten Viertel des Schuljahres, gelangten Merkblätter, die auf 
die Wichtigkeit einer individuellen Berufswahl und auf die Inanspruchnahme der Berufsbe⸗ 
ratungsstelle hinwiesen, an die Eltern der Schülerinnen zur Verteilung. Auch die Schüler— 
bogen erhielten die Lehrkräfte zeitig zur Bearbeitung zugestellt. Anfangs des neuen Jahres 
setzten die Belehrungsstunden in den Oberklassen durch die Berufsberaterin ein. Die Anhalts— 
punkte in den Schülerbogen über die psychische Veranlagung der Kinder gaben, wie bei späterer 
Berührung mit den Mädchen während der Lehrzeit häufig festgestellt werden konnte, nicht selten 
ein recht gutes Bild der persönlichen Eigenart der Schülerinnen. 
Von den zur Schulentlassung gekommenen Mädchen der Volkshauptschule waren 35 9 
schulärztlich auf ihre körperliche Berufseignung und ihren allgemeinen Gesundheitszustand 
untersucht worden. Es ist dies wohl zum großen Teil auf die bei den Mädchen freiwillig geltende 
Entschließung zur Untersuchung und auf mancherlei Vorurteile der Eltern, die den Nutzen 
dieser sozialen, für die Berufswahl sehr wichtigen Einrichtung noch unterschätzen, zurückzuführen. 
Es wäre zu erwägen, ob es nicht zweckmäßiger wäre, die Untersuchung zur Berufseignung in 
den Mädchen-Oberklassen durch Ärztinnen vornehmen zu lassen. Auch durch die Zusammenarbeit 
mit der Fortbildungsschule konnte viel Aufklärung über Berufs- und Wirtschafts- 
verhältnisse verbreitet werden. Unsere besondere Aufmerksamkeit lenkten die Kontoristinnen— 
kurse der Berufsfortbildungsschule, welche eine für die waltenden Umstände erschreckend große 
Besucherzahl aufwiesen, auf sich. Während des Krieges hatte der Kontorberuf eine übergroße 
Anziehungskraft ausgeübt. Viele ungelernte Kräfte und ganz Jugendliche waren in den kauf— 
männischen Beruf aufgenommen worden, ohne sich dadurch eine wirkliche Ausbildung zu ver— 
schaffen. Das UÜberangebot solcher mechanischen Hilfskräfte im kaufmännischen Beruf, die 
durch den tragischen Wechsel der Ereignisse nun brotlos geworden waren, ließ es dringend ge— 
boten erscheinen, zunächst von der Ergreifung des Kontoristinnenberufes abzuraten, oder — bei 
hervorragender Begabung — eindringlichst auf die unerläßliche gründliche Ausbildung hinzu— 
weisen. 
Mit der allmählich freieren Entwicklung des Handwerks und Gewerbes wurde die Vor— 
liebe der Berufsuchenden bald auf ein anderes Gebiet gelenkt. Besonders die textilen Berufe 
erholten sich rasch von den Folgen der Kriegsverhältnisse. Größten Vorzug genoß daSSchneider— 
handwerk. Durch eingehende Beratung konnte manches Mädchen, das aus verschiedenen
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.