Volltext: Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg des Jahres 1919 (1919,1 (1920))

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Soziale Fürsorge 
der erst nach Kenntnis dieses Gutachtens die ärztliche Untersuchung und Feststellung vornimmt. 
Dabei erwies es sich als angezeigt, die Begutachtung durch den Fachmann und durch den Ver⸗ 
trauensarzt räumlich und zeitlich zu vereinigen. 
Die Direktion hat weiter einen Fragebogen für den Vertrauensarzt entworfen, der die 
Zustimmung des Referenten für Erwerbslosenfürsorge und des Arztes gefunden hat. 
Dazu gesellte sich eine weitere Aufgabe. Ziffer I11 3 des Artikels der Novelle vom 
27. Oktober 1919 zur Reichsversicherungsordnung über Erwerbslosenfürsorge bestimmt folgendes: 
„Wenn ein Erwerbsloser eine Arbeitsstelle annimmt, in der er zu vollem Verdienst erst nach Angewöhnung 
der erforderlichen Fertigkeit —V——— die Gemeinde des letzten Wohnorts berechtigt, aus Mitteln der 
Erwerbslosenfürsorge einen Zuschuß für die Dauer von 6 Wochen zu gewähren, sofern der verdiente Lohn den 
bisherigen Betrag der Erwerbslosenunterstützung einschliefßzlich der Familienzuschläge nicht um 1 — werktäglich 
uübersteigt. Der Zuschuß darf den Unterschied zwischen dem Lohne und der um 1 6 werktäglich vermehrten 
Unterstuͤtzung nicht überschreiten.“ 
Auch in der Lösung dieser Aufgabe hat sich die städtische Berufsberatungsstelle, soweit 
überhaupt ein Erfolg zu erzielen war, eifrig bemüht. 
Aufgaben der weiblichen Abteilung. Mit der Entlassung der in der Kriegsindustrie 
beschäftigten zahlreichen Arbeiterinnen entstanden in Nürnberg Verhältnisse, die zunächst fast 
unlösbar erschienen. Es kam alles darauf an, von dem Heer der freigewordenen Kräfte die Ge— 
fahren des Müßiggangs fernzuhalten, d. h. sie in der Übergangszeit irgendwie zu beschäftigen. 
Zu diesem Zwecke wurden — im HSinblick auch auf die Notwendigkeit, den Mädchen Gelegen⸗ 
heit zur Verbesserung ihrer durch die Kriegsarbeit ungeheuer vernachlässigten h a u s w ir t 
schaftlichen Kenn tnisse zu geben — im Februar 1919 als UÜbergangsmaßnahme 
õ städtische Tages- und mehrere Abendkurse von jähriger Dauer eingerichtet. Praktischer und 
cheoretischer Unterricht unterwies die Mädchen in den hauswirtschaftlichen Fächern, im Nähen und 
Ausbessern von Wäsche. Bei der Aufnahme in die Kurse, welche durch die Berufsberatungsstelle 
erfolgte, wurde für die Tageskurse das Alter von 1420 Jahren berüchsichtigt, während die Abend⸗ 
kurse, die 3 mal wöchentlich stattfanden, in der Hauptsache von den Frauen und Mädchen besucht 
wurden, die eine berufsmäßige Ausbildung anstrebten oder allmählich wieder in ein Arbeits⸗ 
verhältnis eintreten konnten. Um möglichst vielen jugendlichen Erwerbslosen die Teilnahme an 
den hauswirtschaftlichen Kursen zu erleichtern, sollte den Bedürftigen aus einem Fonds von 
20 ooo M, den die Kriegsamtsstelle Nürnberg nach gemeinsam gepflogener Besprechung aus 
Reichsschatzamtsmitteln zur Verfügung stellen konnte, eine tägliche Unterstützung von 1 pro 
Kopf gewährt werden. Diese fortlaufende Unterstützung diente zur Aneiferung zum regelmäßigen 
Besuch des Unterrichts. Da das dringende Bedürfnis der arbeitenden Frauen und Mädchen nach 
Weiterbildung für die eigenen häuslichen Arbeiten durch diese Kurse klar zutage trat, beschloß 
die Stadtverwaltung die Beibehaltung der Abendkurse als ständigeEinr ischt ung. Wenn— 
gleich mit der Einführung besonders der Tageskurse auch die Hoffnung verbunden war, dem über— 
aus störend empfundenen Mangel an Hausgehil fünnen zu steuern und in der Jugend 
wieder mehr Freude an der häuslichen Tätigkeit wachzurufen, so zeigte doch die Erfahrung, 
daß die hartnäckige Abneigung der Mädchen gegen ein häusliches Dienstverhältnis durch die 
Dauer der Kriegsjahre weit um sich gegriffen hatte. Nur verhältnismäßig wenige konnten sich 
dazu verstehen, einen hauswirtschaftlichen Beruf zu ergreifen und bei diesem Berufe auch zu 
verbleiben. 
Ein großer Teil der Mädchen, die nun schon einige Jahre in den Munitionsfabriken 
gearbeitet hatten, nahmen bei Gelegenheit, teilweise auch getrieben durch die bittere Not, 
wieder die Fabrikarbeit auf. 
Aus einem Fonds von do 0o0o AM für Erwerbslose (10. Januar 10919) konnte ganz Be— 
dürftigen die berufsmäßige Ausbildung durch Gewährung von Lehrlingsbeihilfen ermöglicht 
werden. Aber auch mit Stolz und Befriedigung kamen sie um Rat und Auskunft, wenn günstigere 
Lebensverhältnisse gestatteten, die Ersparnisse für die lang aufgeschobene Berufserlernung
	        
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