— 281 —
Ausserdem benützt man die Wasserkraft hauptsächlich in der Textil-
Industrie, in der: Mehlfabrikation, in Lederfabriken , in Holzschleifereien
und in einer grossen Zahl grösserer und kleinerer Industrien, welche ihrer
Natur nach in der Nähe von Wasser angelegt werden müssen (chemische
Industrien) oder auch wegen ihrer geringeren Transportbedürfnisse in grösseren
Entfernungen von den Eisenbahnen sich befinden dürfen (Zündwarenfabriken,
Luxussteinschleifereien u. dergl.).
Die Wasserkraft Bayerns ist jedoch noch lange nicht in dem Grade
ausgenützt, wie es geschehen sollte und könnte (fliessen doch allein bei
München in der Isar nahezu 15,000 Pferdestärken unbenützt vorüber) und
scheint es aus diesem Grunde doch angezeigt, das Augenmerk immer noch
mehr auf die unbenutzten Wasserkräfte zu lenken, um mit denselben, in
Verbindung mit einfachen Schienenstrassen (Sekundärbahnen), namentlich
den Holz- und Steinschätze Bayerns ohne Anwendung der so teuer
herbeizuschaffenden Dampfkraft in höherem Masse zu verwerten als es bis
jetzt geschieht.
Eine erhöhte Ausnützung der Wasserkräfte würde auch den Tradi-
tionen Bayerns in vorzüglicher Weise entsprechen, indem in keinem Lande
eine solche originelle Verwendung der Wasserkraft besteht als in dem hart
an Oesterreich anstossenden Teil von Oberbayern, welches das Berchtes-
gadener Land genannt wird. Wir meinen die Sole- Leitung, welche von
Reichenhall aus gehend und mit einer aus Berchtesgaden stammenden
Leitung einen grossen Teil der gesättigten Salzsole nach den Salinen
Traunstein und Rosenheim schafft, um sie hier zu versieden. Nach Traun-
stein wurde die Leitung 1619 vollendet und nach Rosenheim wurde sie
L808 und 1809 angelegt. Es handelte sich hierbei nicht allein um die
grossen Entfernungen — die Leitung hat eine Länge von etwa 130 km —
sondern wesentlich um Ueberwindung bedeutender Höhen, weil die Sole
auf eine Höhe von 954 m gehoben werden musste, um teils zur Umgehung
des österreichischen Gebietes über die Gebirgshöhen hinweg zu gelangen,
teils das erforderliche Gefälle zu bekommen. Zu diesem Zwecke sind
kolossale Pumpwerke angelegt, die einzig und allein von Wasserkraft-
Maschinen angetrieben werden. Auf der Leitung von Reichenhall bis
Traunstein befanden sich s. Z. noch vom ‚Jahre 1619 her 7 sog. Rad-
maschinen. Als aber die Leitung nach Rosenheim fortgesetzt werden sollte
und darum kräftigere Hebevorrichtungen angewendet werden mussten, kam
der schon oben erwähnte Salinenrat von Reichenbach auf den Gedanken,
die wilden Gebirgswässer durch Kolbenmaschinen zum Heben der Sole
dienstbar zu machen, wie es in ziemlich unvollkommener Weise schon
anderswo, namentlich in Ungarn, der Fall war. So entstanden bei dieser
Anlage die weltberühmten Reichenbach’schen doppeltwirkenden Wasser-
säulenmaschinen, wovon acht Stück, in den Jahren 1808 und 1809 aufge-
stellt, noch heutigen "Tages, also genau ein °%/4 Jahrhundert, in gleich-
yebliebener sicherer und billizer Weise zur Solehebung dienen.