Das alte Nürnberger Kriminalrecht. Nach Ratsurkunden erläutert von Dr. jur.
H. Knapp, k. Archivsekretär und Privatdozent der Rechte in Würzburg: Berlin, J].Gut-
tentags Verlag. 1896, 8.
Während sich die Studien über Altnürnberg mit Vorliebe auf dem Gebiete seines
politischen und geistigen Lebens bewegen, und eine weitverzweigte Literatur hervor-
bringen, sind Quellenpublikationen und Untersuchungen zur Geschichte des reichsstädti-
schen Rechts- und Staatswesens nicht allzu häufig. Und doch bildet gerade diese, worauf
schon vor 30 Jahren der bekannte Rechtslehrer Zöpfl hinwies, ein ebenso reiches als in-
teressantes Gebiet der Forschung. Wir finden diese Thatsache an dem vor uns liegen-
den Werke von Dr. H. Knapp bestätigt. Wir wissen dem jungen Gelehrten besonderen
Dank, dafs er als Fortsetzung seiner 1891 erschienenen Schrift: »Das alte Nürnberger
Kriminalverfahren bis zur Einführung der Karolina«, die Geschichte des reichsstädtischen
Strafrechts in weiterer Ausführung ebenso klar als erschöpfend behandelt hat. Es war
dieses eine dankbare, aber keine leichte Aufgabe für den Verfasser, der bei der vorhan-
denen spärlichen Literatur das Material meist erst aus Hunderten von Archivalien, aus
Gerichtsbüchern, Prozefsakten u. a. sammeln und sichten mufste. Auf Grund dieser
echten, lauteren Quellen gestaltete er den ungleichartigen, vielfach spröden Stoff zu
einem wohlgelungenen Bilde, das uns die verschiedenen Seiten des alten Nürnberger
Kriminalrechtes in scharfen Zügen und düsteren Farben vor Augen führt. Die Einleitung
des Buches gibt eine gedrängte Charakteristik des Rates und seines Richteramtes; sie
zeigt uns die Maximen und sein Verhalten während der Anklage und der Untersuchung
eines Individuums, wobei auch die Bedeutung der meist auf Italiens Rechtsschulen gebil-
deten Nürnberger Rechtskonsulenten treffend gewürdigt wird. Die nach aufsen so oft
gerühmte Gerechtigkeitsliebe und Milde der Nürnberger Richter läfst in Wirklichkeit viel
zu wünschen übrig. Der Grundzug des reichsstädtischen Rechtslebens in seinen verschie-
denen Erscheinungen war, wie auch‘ ehedem in andern deutschen Territorien, wenig
erfreulich, ja geradezu roh. Wie in politischen Dingen herrschte auch hier nicht selten
Egoismus und Willkür; allerlei Vorurteile, Rücksichten auf des Volkes Meinung und Gunst,
Intriguen und die in republikanischen Gemeinwesen mehr als sonst ausgeprägte »Vettern-
wirtschaft« beeinflufsten manchmal die Rechtssprechung in schlimmer Weise.
Der allgemeine theoretische Teil des Buches S. 5—140 handelt zunächst von dem
Verbrechen in den verschiedenen Abstufungen nach der Willensäufserung, dem Versuche
und der Teilnahme, sodann von den einzelnen Freiheits-, Todes- und Leibesstraten, wo-
bei ihre Zumessung mit Rücksicht auf individuelle Verhältnisse, wie auf Alter, Stand
und Geschlechter, die Milderungs-, Verschärfungs- und Begnadigungsgründe näher er
örtert werden. Ein ungemein reiches und fast ganz neues Material ist in dem besonderen
Teile des Werkes S. 141—290 verarbeitet, über Missethaten und Verbrechen wider den
Rechtsfrieden, wider Leben und Eigentum, Religion und Obrigkeit, Sittlichkeitsverletzungen
u. dgl., über ihre Verbreitung und Bestrafung. Wir wollen nicht näher auf die durchaus
grausamen und mit der gröfsten Hartherzigkeit meist öffentlich vollzogenen Strafarten
eingehen; sie stehen im grellen Widerspruche zu den sonst in Altnürnberg herrschenden
humaneren Lebensanschauungen und dem ausgeprägten Sinn für Kunst und höhere
Bildung. Es genügt darauf hinzuweisen, dafs aufser der häufigsten und zugleich mildesten
Todesstrafe, dem Enthaupten, u. a. der Strang, das Rädern, Erwürgen und Verbrennen.
das Lebendigbegraben, Ertränken, Zangenreifsen und Ausschleifen im Nürnberger Straf-
recht eine grofse Rolle spielten. Meineidige und Friedbrecher strafte man mit dem Ver-
luste der Schwurfinger oder der Hand; Aufrührer, Betrüger und Unzüchtige wurden des
Augenlichtes, Kupplerinnen, Ehebrecher und Fälscher des Ohres oder der Nase, Gottes-
lästerer der Zunge beraubt, während andere ähnliche Verbrecher, auf Stirn und Wange
gebranntmarkt, das reichsstädtliche Gebiet verlassen mufsten. Unter den Freiheitsstrafen
stand die lebenslängliche Einmauerung, welche auch manche Patrizier traf, oben an; die
sonstigen Gefängnisse im alten Nürnberg u. a. das düstere, feuchte Lochgefängnis unter
dem Rathaus und die allzu luftigen Kammern auf den Türmen der Stadt, boten nach
unseren Begriffen den Gefangenen einen durchaus menschenunwürdisen Aufenthalt