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gar nicht mehr, sie war an den Stuhl gefesselt.
Mit der Erkrankung war eine merkwürdige Ver—
änderung im Wesen der alten Frau eingetreten.
Hatte sie sich in ihren gesunden Tagen in ihrer
herben Unnahbarkeit auf sich selbst gestellt, so wollte
fie jetzt nie allein sein, entweder mußte eines der
Kinder bei ihr sein oder Frau Josephine.
Diese wollte der Kinder Freiheit nicht beein—
trächtigt sehen, so sandte sie meistens die kleine
Gesellschaft, die so sehnsüchtig durch das Fenster in
den duftenden, blühenden Garten sah, hinaus aus
der dumpfen Stube und blieb selbst bei der Kranken,
hörte ihre ungeduldigen Klagen mit Langmut an,
oder las ihr aus der alten Bibel vor. Aber nur
düstere Bilder aus dem Alten Testament oder die
überwältigenden Phantasien aus der Offenbarung
Johannis wollte sie hören.
Frau Josephine hatte eines Tages Mademoiselle
zu der alten Frau gesetzt, um selbst einmal im
Garten nachzusehen, aber nach einer knappen
Stunde war Mademoiselle mit tränenden Augen
gekommen.
„Himmel, Madame, coètte vieille fomme! Non,
non — sie sprikt nur immer gegen meiner Heimat,
gegen meiner Brüder. Satan eéet telle chose
m'appele cetto femme là. Non, non, madamoe,
je n'y peux rester. Non, non, c'est ma patrieé,
la France! Ma patrieè!“
Seufzend ließ Frau Josephine den übervollen
Zweig am Birnbaum los. Es hätte so viel Arbeit
im Garten gegeben! Da klang schon schrill die
Glocke aus dem Zimmer der Schwiegermutter und
Frau Josephine kehrte bedrückt ins Haus zurück. —
Die Kinder saßen unterdessen um die kleine