fullscreen: Eine anonyme deutsche Gottesdienstordnung aus der Reformationszeit

chien zu zerschlagen oder in alte Gemeinden neue Kirchen hineinzusetzen. Eine Tabelle, welche 
den kürzen Zeitraum von 1890 — 1895 umfaßt, veranschaulicht sehr lehrreich den alten Zustand 
und die Ergebnisse des großen Liebeswerkes. Es wurden in dieser Zeit 31 Kirchen vollendet 
resp. im Bau, davon 21 neue Parochialkirchen. Während die alten Sprengel teilweis 70, 80, 
96, 122, 127 Tausend Seelen umfaßten, bewegen sich die neuen im Durchschnitt von 20—–30 
Tausend, und die weniger großen werden in kurzer Zeit auch noch auf eine Normalhöhe 
zurückgeführt sein. Dementsprechend ist die Zahl der Geistlichen von 96 auf 1385 gestiegen 
und wird entsprechend weiter wachsen, ebenso die der übrigen Kirchendiener und Gemeinde— 
schwestern. Fast alle diese Kirchen sind Monumentalbauten. Sie haben über 19 Millionen gekostet 
und repräsentieren mit den meist geschenkten Bauplätzen einen Wert von 285 Millionen Mark. 
Wie der Verfasser meint, habe sich gerade durch die Schönheit der Bauten der Kirchenbesuch 
wie die Opferwilligkeit sehr gehoben. „Der Vorwurf, daß in Berlin zu schön und kostbar 
gebaut würde, ist durch den Erfolg glänzend widerlegt. Der Bau von 50 unkünstlerischen, 
schmucklosen, billigen Betsälen wäre schwieriger gewesen als der Bau von so schönen Kirchen.“ 
Man wird unwillkürlich an Wallenstein erinnert, aber der Erfolg spricht für die Richtigkeit 
des Vorgehens, und wer das alte, stumpfe, gleichgültige Berlin kannte, wird hierdurch an— 
genehm überrascht sein. Die Geschichte kennt nur zwei Perioden ähnlicher Begeisterung, die 
Zeit der ersten Liebe im 12. Jahrhundert und die Zeit des Gewissensdruckes und der katho— 
lischen Ausschlachtung im 15. Jahrhundert. Diese überragt unbedingt unser arg verschrieenes 
fin de siècle durch die Zahl, abgeschlossene Schönheit und Solidität ihrer Werke, wie durch die 
Reinheit der Motive. Muß man auch hier der Mode und gemachten Stimmung ihr Teil 
einräumen, so bleibt doch ein reicher Fonds echt evangelischer und vaterländischer Liebe, welcher 
sich mit den reichen Mitteln des wachsenden Wohlstandes und im Segen des „edlen Friedens“ 
auswirkte. Diese Bemerkungen werden durch die Geschichte der RK. W. G. K. aufs beste belegt. 
Die K. W. G. K. hat von Anfang im Plan des Kirchenbauvereins gestanden, und 
schon am 28. Juni 1890 wurde eine erste, beschränkte Konkurrenz für einen Bau von 650000 
Mark ausgeschrieben. Es ist für die anfängliche Angstlichkeit und die jährlich wachsenden 
Mittel und Opfer bezeichnend, daß bei der Prüfung der eingegangenen Pläne ein Projekt 
Kyllmanns mit 11/, Million Kosten als zu teuer verworfen und das des Baurats Schwechten 
angenommen wurde, das sich in den vorgeschriebenen Grenzen hielt, schließlich aber durch 
immer neue Entwürfe (drei davon auf den Cafeln) sich zum gegenwärtigen Prachtbau mit 
3/0 Millionen Kosten entfaltete. Von der Stadt Charlottenburg wurde der jetzige, schöne 
Auguste-VPiktoria-⸗Platz geschenkt, den einst der hochselige alte Herr selbst zu einer Dankeskirche 
aus Anlaß der 7ser Attentate ausersehen hatte. Im Jannar 1891 ging der erste Aufruf 
aus, am 22. März, dem Palmsonntag, wurde der Grundstein gelegt und nun unter steter 
Ausweitung der Pläne, des Aufbaues, der Ausstattung munter drauf los gearbeitet, ein Ver— 
fahren, das hier herrlich gelang, indes recht sehr eines Musterschutzes gegen Nachahmung be— 
darf. Erlaubten doch sogar die reichlich zuströmenden Mittel, die ersten, nicht ganz wohl geg 
lungenen Details (Säulen, Kapitäle 2c.) durch neue, geschmackvollere zu ersetzen. Der Architekt 
S„chwechten selbst giebt nun einen Baubericht und eine Beschreibung seines Werkes, und man 
kann nichts Genußreicheres lesen als die kurze, sachliche Darstellung des genialen Meisters. 
Wir heben nur folgendes daraus hervor. Bis Ende Juli 1894 waren Chor, Schiff und vier 
kleinere Cürme unter Dach, gewölbt und abgerüstet, am 22. Dezember war auch der gewaältige 
Hauptturm im Rohbau fertig; es wurde durchschnittlich mit 550 Bauhandwerkern gearbeitet. 
1895 und 1896 wurde der innere Ausbau vollendet. Die Nirche stellt sich als kreuzförmige 
Basilika im Ubergangsstil dar, welcher westlich die von zwei Cürmchen flankierte, den Haupt— 
turm tragende Gedächtnishalle für den großen Kaiser vorgelegt ist. Die Nachahmung der 
Formen um 1250 ist bewußt und peinlich und soweit gehend, daß die anfänglich freier nach— 
gebildeten Details wieder entfernt und durch treue Kopien ersetzt wurden. Namentlich rheinische 
Bauten, vorweg die Marienkirche in Gelnhansen, sind als Vorbilder benutzt. Es wird dies 
gewiß den Unmut der Doktrinäre erregen. Es läßt sich aber nicht leugnen, daß durch 
Schwechten ein viel umstrittenes Problem der Lösung sehr nahe gebracht ist. Hatte man bis— 
her meist das Schema der eigentlichen Basilika mit niedrigeren Seitenschiffen oder das der 
Hallenkirche angewandt, welche beide sich als unhörsam erweisen, so ist Schwechten dem Ideal 
einer evangelischen Predigtkirche bei stilgerechtem äußern mittelalterlichen Gerüst fast gerecht 
geworden, indem er an die kolossale Vierung ein kurzes, breites Langhaus, ein fast ebenso 
breites Querhaus und einen kurzen Chor anlegte, die Seitenschiffe auf Emporenbreite ver— 
minderte und den ganzen, reichgegliederten und doch einheitlichen, übersichtlichen und durch— 
aus hörbaren Raum mit Sterngewölben von nicht dagewesener Spannweite überdeckte. Nur 
die vier unvermeidlichen Pfeiler der VPierung können in etwas die Freiheit des UÜberblickes 
benehmen. Der Chor ist als halbes Zehneck geschlossen, mit einem Kapellenkranz, (zwei Sakri— 
steien, zwei Konfirmandensäle) umgeben, eine Anlage, die zu den notwendigen Übeln gehört, 
dem Ostteil unten aber ein störendes, gedrücktes Ansehen giebt. Die Abmessungen sind in 
den edelsten Proportionen gehalten, die Vierung 20.5 in der Diagonale, das Schiff hoch 20.70, 
die Chortürme 61.60, der Hauptturm 100, resp. bis zum Kreuzende 113 m. Besonders imposant
	        
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