fullscreen: Stenographischer Bericht der 34ten Generalversammlung Deutscher Müller und Mühlen-Interessenten zu Nürnberg vom 17. bis 20. Juni 1906 (34. (1906))

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in der Frage der Zumessung der Strafe der weiteste Spielraum gelassen 
werden, damit er Härten des Buchstabens durch sinngemäße, der jeweiligen 
Sachlage angemessene Auslegung der Gesetzesbestimmungen ausgleichen 
kann. Es ist zwar sonst kaum richtig, den Richter in die Möglichkeit zu 
versetzen, das geschriebene Gesetz durch subjektive Uberlegung, wenn auch 
im besten Sinne, zu korrigieren. Aber bei der Neuheit und Schwierigkeit 
der hier vorliegenden Materie dürfte es nicht unzweckmäßig und auch 
wohl erträglich sein, den beurteilenden Richter an der Fortbildung des 
Rechtes teilnehmen zu lassen. 
Allerdings kann der Richter nicht über die „Wertlosigkeit“ urteilen. 
Wer ist hier berufen, das entscheidende Wort zu sprechen? Sicherlich nur 
eine Stelle, die ebenso wissenschaftlich gebildet und erfahren wie unpar— 
teiisch ist. Diese letztere Eigenschaft scheint nach allgemeiner Ansicht in 
müllerischen Kreisen den landwirtschaftlichen Versuchsstationen nicht immer 
beizuwohnen. Wenn man auch zugeben kann, daß manche Beschwerden 
über sie aus dem Arger über verlorene Prozesse entsprungen sein mögen, 
so liegen doch so viele, bedeutsame Zeugnisse unverdächtiger Personen 
dafür vor, daß jene Versuchsstationen nicht immer mit der erforderlichen 
Sorgfalt gearbeitet haben, nicht immer die landwirtschaftliche Brille ab— 
gesetzt haben, als sie das Verfahren von Müllern und Händlern beur— 
teilten, sodaß man sie nicht als die geeigneten Stellen betrachtet, die 
maßgeblichen Rat in Futtermittelprozessen erteilen dürften; sie sind, und 
zwar mit vollem Recht, Parteivertretungen und als solche für die Land— 
wirte gewiß wertvoll. Aber für die übrigen Parteien bleiben sie eben 
auch Partei. Möglich wird es aber sein, die neue Versuchsanstalt für Ge— 
treideverarbeitung, diese gemeinschaftliche Gründung des Reichs, des 
preußischen Staates, der preußischen Landwirtschaft und des Verbandes 
Deutscher Müller, zu einer Anstalt auszubauen, die sowohl wissenschaftlich 
als auch vom Standpunkte der wirtschaftlichen Unbefangenheit aus berufen 
und geeignet sein dürfte, die maßgebende Stelle zu werden, um auf 
Grund wissenschaftlicher Forschungen einerseits, auf Grund volkswirtschaft— 
licher Verhandlungen zwischen den beteiligten Erwerbsgruppen andererseits 
dem Richter die sachliche und sachverständige Grundlage für sein Urteil 
zu schaffen. 
Es wurde vorhin schon angedeutet, daß eine Ausnahmestellung 
vielleicht denjenigen Fällen zukommt, worin der Verkäufer dem Käufer 
das Vorhandensein von wertlosen Bestandteilen nach Art, Menge und 
Wert ausdrücklich mitteilt. Vom Standpunkt der redlichen Müller aus 
würde es m. E. bedenklich erscheinen, solche Ausnahmen zuzulassen; denn 
der Vertrieb solcher Futtermittel im Kleinen läßt befürchten, daß die be— 
züglichen Aufklärungen nicht bis zum letzten Verbraucher durchdringen und 
schließlich doch der eine oder andere getäuscht wird. Aber man darf 
allerdings auch nicht übersehen, um tunlichst nach allen Seiten gerecht zu 
sein, daß die Wohltätigkeit einer weitgehenden Freiheit des Handels und 
Wandels sicherlich kein leerer Wahn ist. Den Einwand, daß durch die 
Strafbarkeit jeder wertlosen Beimischung die Freiheit des Handelsverkehrs 
beeinträchtigt, wenn nicht gar vernichtet würde, darf man nicht ganz un— 
beachtet lassen, wenigstens nicht von vornherein. Aber dem öffentlichen
	        
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