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in der Frage der Zumessung der Strafe der weiteste Spielraum gelassen
werden, damit er Härten des Buchstabens durch sinngemäße, der jeweiligen
Sachlage angemessene Auslegung der Gesetzesbestimmungen ausgleichen
kann. Es ist zwar sonst kaum richtig, den Richter in die Möglichkeit zu
versetzen, das geschriebene Gesetz durch subjektive Uberlegung, wenn auch
im besten Sinne, zu korrigieren. Aber bei der Neuheit und Schwierigkeit
der hier vorliegenden Materie dürfte es nicht unzweckmäßig und auch
wohl erträglich sein, den beurteilenden Richter an der Fortbildung des
Rechtes teilnehmen zu lassen.
Allerdings kann der Richter nicht über die „Wertlosigkeit“ urteilen.
Wer ist hier berufen, das entscheidende Wort zu sprechen? Sicherlich nur
eine Stelle, die ebenso wissenschaftlich gebildet und erfahren wie unpar—
teiisch ist. Diese letztere Eigenschaft scheint nach allgemeiner Ansicht in
müllerischen Kreisen den landwirtschaftlichen Versuchsstationen nicht immer
beizuwohnen. Wenn man auch zugeben kann, daß manche Beschwerden
über sie aus dem Arger über verlorene Prozesse entsprungen sein mögen,
so liegen doch so viele, bedeutsame Zeugnisse unverdächtiger Personen
dafür vor, daß jene Versuchsstationen nicht immer mit der erforderlichen
Sorgfalt gearbeitet haben, nicht immer die landwirtschaftliche Brille ab—
gesetzt haben, als sie das Verfahren von Müllern und Händlern beur—
teilten, sodaß man sie nicht als die geeigneten Stellen betrachtet, die
maßgeblichen Rat in Futtermittelprozessen erteilen dürften; sie sind, und
zwar mit vollem Recht, Parteivertretungen und als solche für die Land—
wirte gewiß wertvoll. Aber für die übrigen Parteien bleiben sie eben
auch Partei. Möglich wird es aber sein, die neue Versuchsanstalt für Ge—
treideverarbeitung, diese gemeinschaftliche Gründung des Reichs, des
preußischen Staates, der preußischen Landwirtschaft und des Verbandes
Deutscher Müller, zu einer Anstalt auszubauen, die sowohl wissenschaftlich
als auch vom Standpunkte der wirtschaftlichen Unbefangenheit aus berufen
und geeignet sein dürfte, die maßgebende Stelle zu werden, um auf
Grund wissenschaftlicher Forschungen einerseits, auf Grund volkswirtschaft—
licher Verhandlungen zwischen den beteiligten Erwerbsgruppen andererseits
dem Richter die sachliche und sachverständige Grundlage für sein Urteil
zu schaffen.
Es wurde vorhin schon angedeutet, daß eine Ausnahmestellung
vielleicht denjenigen Fällen zukommt, worin der Verkäufer dem Käufer
das Vorhandensein von wertlosen Bestandteilen nach Art, Menge und
Wert ausdrücklich mitteilt. Vom Standpunkt der redlichen Müller aus
würde es m. E. bedenklich erscheinen, solche Ausnahmen zuzulassen; denn
der Vertrieb solcher Futtermittel im Kleinen läßt befürchten, daß die be—
züglichen Aufklärungen nicht bis zum letzten Verbraucher durchdringen und
schließlich doch der eine oder andere getäuscht wird. Aber man darf
allerdings auch nicht übersehen, um tunlichst nach allen Seiten gerecht zu
sein, daß die Wohltätigkeit einer weitgehenden Freiheit des Handels und
Wandels sicherlich kein leerer Wahn ist. Den Einwand, daß durch die
Strafbarkeit jeder wertlosen Beimischung die Freiheit des Handelsverkehrs
beeinträchtigt, wenn nicht gar vernichtet würde, darf man nicht ganz un—
beachtet lassen, wenigstens nicht von vornherein. Aber dem öffentlichen