lich lauernden Pharisäer, einen von den Italienern viel bewunderten
Charakter, während die anderen Figuren im Halbdunkel sich verlieren.
Stürmischer, unter lebendiger Teilnahme des Volkes geht der Vor-
gang in der kleinen Passion vor sich, noch reicher statten die grosse
und die grüne Passion die Szene aus. Unterhalb der Stufen des
Richthauses, in dessen Eingang Christus ausgestellt wird, drängt
sich lärmend ein Volkshaufe, alt und jung, Dicke und Magere,
Fanatiker und Neugierige, und sprechen laut ihre Meinungen und
Forderungen aus. Ähnliche tiefgreifende Unterschiede lehrt uns
der Vergleich gleichnamiger Darstellungen in den einzelnen Folgen
kennen. Bei der Kreuztragung liegt bald der Nachdruck auf der
Begegnung der Frauen, welchen Christus mit unendlich sanftem
Blick Trost zuruft, bald auf den Misshandlungen, unter welchen
Christus zusammenbricht. Die Kreuzigung betont entweder das
Scelenleiden Christi und den Schierz der unter dem Kreuze ver-
sammelten Freunde, oder sic führt uns mit symbolischem Beiwerke
geschmückt die Hinrichtungsszenen vor die Augen.
Mit Recht haben die Italiener die schier unerschöpfliche Frucht-
barkeit der Dürerschen Phantasie gepriesen und ihm als Erfinder
die Palme gereicht. Uns aber steht noch höher als die Fruchtbar-
keit das unverbrüchliche Festhalten an einem einheitlichen Grund-
ton in den verschiedenen Folgen. Dem Bildner ging der Dichter
zur Scite. Ehe er an die einzelnen Darstellungen schritt, erwägte
cr im Geiste, welchen Eindruck und welche Empfindung das ganze
Werk im Betrachter hervorrufen soll. Es kann der Sinn des letz-
teren in ruhigem Gleichmasse durch die Erzählung der Ereignisse
beengt oder seine Phantasie durch Vorführung leidenschaftlicher
Szenen, mächtiger innerer und äusserer Kämpfe gepackt werden.
ls kann weiter als Ziel die Erweckung tiefer Teilnahme an den
Schicksalen des Helden vorschweben. In der Dichtkunst wird die
natürliche Scheidung in drei Gattungen, die epische, dramatische
und Iyrische Poesie längst anerkannt und geübt. Auch im Kreise
der bildenden Kunst stossen wir bald auf wirksame Dramatiker,
ergreifende Lyriker und fesselnde Erzähler, Was an Dürer neu
ist, unsere Bewunderung erregt und ihn in die Reihe der grossen,
die Welt umfassenden Dichter setzt, das ist die kühne That, einen
und denselben Gegenstand sowohl episch wie dramatisch und
lyrisch erfolgreich zu behandeln. Man braucht nur, wie richtig
bemerkt wurde, die Titelblätter der drei Passionen zu betrachten,
am den poetischen Standpunkt Dürers in jeder der drei Folgen