Ich glaube nicht, daß er darnach noch einmal Ver—
anlassung hatte, eine Totenauferweckung vorzu—
nehmen. Ich will ihm aber nicht wehe tun; ich
danke ihm vielmehr von Herzen die Liebe, die er
auch in dieser absonderlichen Gestalt uns Kindern
erzeigte. Hat er doch nachmals treffliche eigene
Kinder erzogen. Hätte er nur dies sein Glück mit
eigenen Augen sehen können! Denn das Augenlicht
erlosch ihm viel früher als das Licht des Lebens.
Er besaß entschieden eine Gabe zu erzählen,
die gerade durch das Märchenhafte, das ihr eigen—
tümlich war, das kindliche Gemüt anzog. Und wir?
Wir hörten andächtig zu und — glaubten z. B.,
daß beim Gossern in seinem Magen sich zwei Männer
in seinem Innern stritten, daß ins rechte Bein gehe,
was man auf der rechten, ins linke, was man auf
der linken Seite kaue. — Wäre das richtig gewesen,
so hätte er auf Zündhölzern gehen müssen. Denn sein
schadhaftes Zahnwerk gestattete ihm nur nach Art
der Hasen mit den Vorderzähnen zu kauen. — Sein
dichtes, blondes Haar wurde von ihm nicht selten einer
eingehenden Pflege mit dem Staubkamm unterzogen,
wobei die Schiefern dicht zur Erde fielen. Wir sahen
ihm bei diesem Geschäft natürlich unverwandt zu.
Ebenso begreiflich war für Knaben unseren Alters
die wißbegierige Frage, was da von seinem Kopfe
herunterfalle. „Wißt ihr,“ war seine Auskunft,
„es gibt Menschen, die heißen „Sternköpf“ und ein
solcher bin ich.“ Wir aber beruhigten uns bei
diesem durchaus sachgemäß erscheinenden Bescheid.
Mein großer Bruder stand mit ihm auf ver—
trauterem Fuß als ich. Ihn konnte eben „der Herr
Vikar“ schon auf weiteren Spaziergängen mitnehmen.
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