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XI. Der singend Schuster zu Lübeck.
Tu um kein Gut mich gremen,
Hab Weib und Kinder liebe,
Die ich hin bring mit Eren.
Gwin ich nicht vil, tu ich dest ringer zeren.
Gott Lob,
Das ich bin frisch und gsunde
Und laß mich auch begnügen
An dem, was Gott mir teglich ist zufügen.“
Als der Reich hört den Grunde,
Tet er, seins Guts zu denken,
Dem armen Schuster hundert Gulden schenken,
Das er sich nert dest baß
Mit Weib und Kind, darob
Er hoch erfreuet was.
Als der Schuster das Geld heim brachte,
Dacht er, wie er das selb möcht wol anlegen,
Das er mer möcht gewinnen,
Wurt geitig über Maßen,
Lag ungschlafen die ganze Nachte
Mit mancherlei heimlich großen Anschlegen
Und wuchert mit den Sinnen;
Seines Singens vergaße,
Nit mer wart frölich ere
Und ging auch traurig auf der Gaßen here.
Kein Ru
Het er in seinem Herzen.
Er dacht: mir bringt das Gelt Unru und Schmerzen.
Lief hin, tet wider bringen
Dem reichen Man sein Gute,
Wolt lieber wie vor leben in Armute,
Sicher und frölich singen,
Dan wie ein Tor und Stum
Sein traurig, iemer zu
Leben in dem Rüchtum.
30 ringer, weniger. — 34 Siehe zu V, 877. — 36 um sich daran
zu erinnern, daß er reich und daher wohlzutun verpflichtet wäre. —
44 geitig, habgierig. — 474 mit den Sinnen, in Gedanken. —
49 ere — er. — 50 here, einher. — 56 vor, vordem. — 60 Rüch—
um, Reichtum.
Salle a. S. . Buchdruckeret des Waisenbauses