Objekt: Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit

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zonte, auf dem sich die drei Kreuze scharf abheben, führen gleich in die 
rechte Stimmung hinein und lassen uns bei der Trauerscene mit ganzem 
Herzen dabei sein. Durch Licht und Schatten ist die Wirkung gegeben. 
An Kraffts letzte Station erinnert besonders eine Silberstiftzeich— 
aung Dürers mit der Beweinung vom Jahre 1522), heute in der 
Kunsthalle zu Bremen befindlich. Ließ Krafft mit einem innigen Kusse 
die Mutter von ihrem Sohne Abschied nehmen, so läßt Dürer Maria 
sich zu Christi Haupte nur neigen. Aber wir ahnen, daß ihr Mund 
im nächsten Augenblick auf den kalten Lippen ihres toten Sohnes 
ruhen wird. Bewußt oder unbewußt mag Dürer die prächtige Kom— 
position Kraffts, die er oft genug in Nürnberg vor Augen hatte, als 
Vorbild gedient haben. Dieser Vermutung könnte widersprochen werden. 
Dürer hätte das auch zeichnen können, ohne daß in ihm die Erinnerung 
an Kraffts Station lebendig wurde. Allein das muß angenommen 
werden, was natürlich und wahrscheinlich ist. Der Größe Duͤrers wird 
durchaus nichts genommen, wenn er hier und da beeinflußt erscheint. 
Die kleine Beweinung im Kupferstich und die der kleinen Holz⸗ 
schnittpassion erinnern an die Klage um den Leichnam von Mantegna, 
der leidenschaftliche Empfindungen bis zum Schroffsten schilderte und 
diese rücksichtslose Kühnheit auf Bewegung und Verkürzung der Gestalten 
übertrug. Diesen Meister, in dessen Werken sich eine überaus relief— 
artige Wirkung geltend macht, ahmte Dürer des Seelenausdruckes und 
der plastischen Bewegtheit wegen nach. 
Das tritt noch mehr in dem lberge des Kupfersstiches hervor. 
Wie von größter Seelenangst hingerissen, streckt Christus beim Anblicke 
des das Kreuz ihm entgegenhaltenden Engels die Arme zum Himmel. 
Ein lauter Aufschrei äußert den leidenschaftlichen Schmerz, der durch die 
Besten der emporgestreckten Hände noch gesteigert wird. Ein Vorbild 
konnte dazu die klagende Frau hinter Christus, der zum Grabe ge⸗ 
tragen wird, auf Mantegnas Stich geben, und indem Duͤrer die Art und 
Weise des Italieners benutzte, durch Gesten der Hände die Empfindungen 
zur Schau zu tragen, um die dramatische Wirkung zu erhöhen, ver— 
rät er den Einfluß, den er in Italien bekommen hatte. Besonders in 
der Architektur der „grünen Passion“ finden sich mancherlei Anklänge 
an venetianische Baukunst. Adam Krafft dagegen, frei von jedem 
italienischen Einfluß, giebt einen gemäßigten Christus, der dem deutschen 
Gemüte völlig angepaßt ist und ganz zum Herzen spricht. Aber des— 
halb ist auch das dramatische Element schön ausgeprägt. 
iy Lippmann: Dürers Zeichnungen.
	        
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