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Achtundzwanzigstes Kapitel. Eine Totenklage.
die Macht der Finsternis! Höre, du Ritter Christi, reit hervor
neben den Herrn Christus, beschütze die Wahrheit, erlange die
Märtyrerkrone, du bist doch auch schon ein altes Männiken. Ich
hab von dir gehört, daß du dir selbst noch zwei Jahre zuge—
geben, die du noch taugest, etwas zu thun. Dieselben lege wohl
an, dem Evangelio zu gut, und laß dich dann hören, so wer—
den der Höllen Pforten, der römische Stuhl nichts wider dich
vermögen. Und ob du hier deinem Meister Christus gleichförmig
würdest und Schande littest von den Lügnern dieser Zeit und
darum eine kleine Zeit eher stürbest, so wirst du um so eher
aus dem Tode ins Leben kommen und durch Christum verklärt
werden. Denn so du aus dem Kelch trinkest, den er getrunken,
so wirst du mit ihm regieren und richten mit Gerechtigkeit, die
nicht weislich gehandelt haben. O Erasmus, halt dich hier, daß
sich Gott dein rühme, wie von David geschrieben stehet, denn
du magst's thun, fürwahr, du magst den Goliath fällen, dein
Gott stehet bei der heiligen christlichen Kirche, wie er ja auch
unter den Römischen stehet nach seinem göttlichen Willen. Das
helf uns zur ewigen Seligkeit Gott Vater, Sohn und heiliger
Geist, ein ewiger Gott. Amen.“
Dürer legte die Feder hin und wischte sich die Augen. Wie
eine Erleichteung war es ihm, da er das volle Herz heraus—
geschüttet hatte.
Aber er hatte daran noch nicht genug: zur Kreide griff er
alsbald und rief die Kunst herbei als Dolmetscherin seines Em—
pfindens und als Trösterin in seinem Leid. Was da auf dem
blaugrauen Grunde sichtbar ward, das war ein Cherub, der jam—
mernd die Flügel nach vorn zusammenschlägt und sagen will: Ach
daß du dahin bist, Martin Luther, du Prophet des Höchsten!