Objekt: Eine anonyme deutsche Gottesdienstordnung aus der Reformationszeit

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zaben eine zwiefache Funktion, welche sich in der Thätigkeit des Religionslehrers findet: die 
eine, daß er sich herabläßt, die andere, daß er die Masse seiner Zuhörer erhebt.“ Von seiner 
Sprache gilt: „Er muß soweit entfernt sein von der Wissenschaftlichkeit, als notwendig ist, 
damit die Mitteilung realisiert werde; aber er muß auch wieder soweit sich unterscheiden von 
der Volkssprache, daß die Zuhörer allmählich dadurch in ein höheres Sprachgebiet hinein— 
gezogen werden“ (XIII, 122). Oder anders ausgedrückt: „Alles plebeje und gelehrte und 
dem litterarischen Verkehr ausschließlich Angehörende ist ausgeschlossen, und zwischen diesem 
liegt das religiöse Sprachgebiet und der Ort dessen, was für die Gemeinde populär ist“ 
XIII, 125). 
Im Gebet wendet sich der Geistliche „mit der Gemeinde an Gott und spricht im Namen 
aller“ (XIII, 134). Das „gemeinsame Gebet“ ist nichts anderes als „ein gemeinsames Her— 
austreten“ aller „jum gemeinsamen Bewußtsein in einer Stimmung, in welcher alle begriffen 
sind. Wenn durch das gemeinschaftliche Gebet die Anwesenden sollen in eine religiöse 
S5timmung versetzt werden, so ist das gegen die Natur des Gebetes; es kann nur sein der 
Ausdruck einer erhöhten Stimmung, in der sie sind, oder einer Erhöhung der Stimmung durch 
den Ausdruck, aber immer einer Stimmung, in der sie schon sind“ (XIII, 189). 
Der Gesang, „ein herrliches Mittel, das Gemüt zu erheben und mit dem Göttlichen 
zu erfüllen“ (Pred. VII, 431), ist im Gottesdienst „vorzüglich“ das Element, „in welchem die 
Produktivität aller sich Außern kann“ (XII, 556). „Der Gesang ist die Selbstthätigkeit 
der Gemeinde“ (XIII, 169). Dabei haben wir eine „Verbindung von Poesie und Musik, 
und wir müssen beides in Betracht ziehen“ (XIII, 168). 
Was die Verwendung der Musik angeht, so giebt es zwei Extreme: „Das Mini— 
mum ist der einfache Choralgesang, das Maximum ist die künstlichere Musik; 
die Grenzen, die dieser gesteckt sind, haben wir im allgemeinen gezeichnet“, wenn wir sagen, 
„daß die Musik nirgends dürfe als eigentliche Virtuosität hervortreten“ 
XIII, 169). So ist z. B. „was wir Oratorium nennen, ...eine poetische musikalische Be— 
arbeitung eines religiösen Stoffes, aber in solcher Ausdehnung, daß es eine Kunstdarstellung 
zür sich wird, und da ist vieles an seiner Stelle, was im Uultus selbst an seiner Stelle nicht 
sein würde ... In solchen Oratorien finden sich Arien und Fugen. In den Arien tritt die 
HDirtuosität der Stimme stark hervor; wenn es die reine Virtuosität der Natur ist, so können 
wvir die Arie gelten lassen; wenn es aber eine solche ist, wozu eine große übung gehört, wie 
in Trillern und langen Kadenzen, so will das nicht in den Kultus hinein, weil es zu sehr 
auf das Sinnliche hinführt. Wenn in den Arien der Text zu oft wiederholt wird, so ist das 
ein Heraustreten der Musik über die Poesie, und das geht ganz aus der Natur des Kultus 
heraus“ (XIII, 174). 
Die „künstlichere Musik“ ist am besten vertreten durch den „figurierten“ Chor— 
gesang, indem der kirchliche „Chor“ auf der einen Seite anzusehen ist „als der musikalische 
Ausschuß der Gemeinde, der gleichsam im Gesange selbst stärker von der religiösen Gewalt 
ergriffen über das Gebiet des Chorals hinausgeht und ein Höheres darstellt; auf der anderen 
Seite bildet er eine präsentative Masse, an die sich der Liturgus wendet, welche die unteren 
Stufen des Kirchendienstes und die Verbindung der Schule mit der Kirche versinnlicht. So 
ist er seiner Natur nach im Wechsel entweder mit dem Liturgen oder mit der Gemeinde“ 
(V, 2060). „Sowie der Gesang ausartet in einen Wechselgesang zwischen Liturg und Chor, 
oerliert er seinen Charakter, den er im Kultus haben soll, denn die Gemeinde wird dadurch 
wieder in gänzliche Passivität gesetzt“ (XIII, 1693. Immer sind „Kunstsänger und Ge— 
meinde zu einem liturgischen und musikalischem Ganzen zu verbinden“ (V, 122). 
Der „rezitative Gesang des Liturgus, der nicht etwas allgemeines ist in der 
evangelischen Kirche“, ist „nicht zu verwerfen; er hat eine natürliche Stelle“ (XIII, 173). 
Aber „Prosa zu singen, bleibt immer abgeschmackt“ (V, 107). So läßt sich „das Absingen 
der biblischen Abschnitte und der Einsetzungsworte vor der Abendmahlsfeier ... nicht recht— 
fertigen“ (XIII, 173). 
Die einfachste Form“ des Gesanges bleibt „der bloße Choralgesang“ (XIII, 168).
	        
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