S. Maria. Altdeutsche Bildhauerarbeit.
Gar manches Marienbild wird in deutschen Städten, wo der
Verschönerungseifer noch nicht alle Spuren des Alterthums verwischt
hat, gefunden, vor dem der Beschauer mit Freude stehen bleibt, von
dessen Kunstwerth gefesselt, und eben so herrliche wurden aus man⸗
cher Kirche gerettet, welche Zerstörungslust oder Verwendung zu an⸗
dern Zwecken für ihre ursprüngliche Bestimmung untauglich machte.
Ein Bild, zur letzten Classe gehörig, ist das hier im Stich dargestellte.
In den reinsten plastischen Formen, fern von aller eckigen Steifheit
in Stellung und Gewand, wird diese Maria jedem das Urtheil abnö⸗
thigen, daß sie einer solchen Nachbildung würdig ist. Jetzt steht sie
in der Kaiserkapelle auf dem Schlosse und befand sich wahrscheinlich
in früherer Zeit in der Kirche des Dominikanerklosters, welche wegen
theilweisen Einsturzes abgetragen wurde. Murr führt in seiner Be⸗
schreibung derselben einen Altar an, mit Schnitzwerk verziert, wo ne⸗
ben dem Kruzifix Maria und Johannes standen, und von ihm möchte,
wie wir vermuthen und die ganze Stellung, der emporgerichtete Blick
und die betend gefalteten Hände ahnen lassen, unsre Figur genommen
seyn. Der Johannes und das Uebrige ging verloren oder ward zer⸗
trümmert. Ein günstiger Zufall rettete sie allein, was um desto er⸗
freulicher seyn muß, da man bei dem bunten Anstrich, den sie sonst
hatte, den Goldgewändern und den in den Goldgrund eingedrückten
Blumen, die Schönheit derselben gar nicht so bemerken konnte, als
sie sich zeigte nach Wegnahme der alten Farben mit heißer Lauge und
bei dem grüngrauen Anstrich, den sie jetzt erhielt. In dieser Gestalt
ist sie eine der herrlichsten plastischen Arbeiten von der Hand eines
altdeutschen Bildhauers, die Nürnberg aufzuweisen hat, und bedauern
muͤssen wir es, daß wir den Meister nicht kennen. Sie ist weit bes⸗
ser als Veit Stoß, und gerne erkennen wir die Gültigkeit des Ur⸗
theils eines hochgefeierten Künstlers an, der den Vischerischen Ein⸗
fluß und die in seinem Geiste aufgefaßte, weiche, natürliche und wahre
Darstellung der Gewander, neben treffendem Ausdruck des Gesichtes
und edler Stellung, in dieser Bildschnitzerei bemerkte und rühmte. Die
Figur ist 5 Schuh, 2 Zoll hoch.