VI. Verein für klassischen Ghorgesang.
Von Jobst Ries, Kal. Schulinspektor, J. Vorstand des Vereins für klassischen Chorgesang.
Wer von Nürnbergs Lehrern, ihrem Gemeinsinn und den Erfolgen ihrer
Bestrebungen spricht, darf den Verein für klassischen Chorgesang nicht un—
erwähnt lassen, der sich, wie schon sein Name sagt, Pflege klassischer Chormusik zur
Aufgabe stellt und diese durch Veranstaltung von jährlich zwei großen Konzerten
zu erreichen sucht. Er ist eine Schöpfung hiesiger Lehrer und die bleibende
Frucht der vom Lehrergesangverein dahier im Herbste des Jahres 1888 zum Besten
des Restaurierungsfonds der Sebalduskirche veranstalteten Aufführung des
Brahmschen Requiems und des Liebesmahles der Apostel von Richard Wagner.
Die Anregung zu dieser Aufführung wurde von dem damaligen Dirigenten
des Lehrergesangvereins, Herrn Ulrich Müller, gegeben, unter dessen musikalischer
Führung der 1878 gegründete Lehrergesangverein eine Höhe der Leistungsfähigkeit
erreicht hatte, die ihn an erster Stelle der hiesigen Gesangsgesellschaften erscheinen
ließ. Es war deshalb nicht zu verwundern, daß Herr Ulrich Müller dem Ideale
aller Chormusik, der Aufführung großer gemischter Chorwerke zustrebte und dies um
so mehr, als seit Jahren Aufführungen derartiger Werke im großen Stile hier nicht
mehr stattgefunden hatten. Zwar wurde 1882 und 1884 in einer Wiederholung
die Matthäus-Passion von Bach zur Aufführung gebracht; doch ist diese Thatsache,
die zwar einem begeisterten, aber nicht mit einem Chorvereine in engfter Fühlung
stehenden Musikfreunde zu verdanken war, wohl meist aus diesem Gruͤnde nur eint
vorübergehende Erscheinung geblieben.
Die Beschaffung des Damenchores gelang in glänzender Weise, und die Auf⸗
führung der eingangs erwähnten Chörwerke im großen Rathaussaale am
28. Oktober 1888 hatke einen Erfolg, der alle Erwartungen übertraf und der zur
Wiederholung des Konzertes am 14. November in der' eigens zu diesem Zwecke
elektrisch erleuchteten St. Lorenzkirche veranlaßte. Der finanzielle Erfolg blieb hinter
dem musikalischen nicht zurück, indem 2700 M. dem Restaurierungsfonds der
Sebalduskirche überwiefen werden konnten.
Es ist begreiflich, daß von allen Mitwirkenden der Wunsch ausgesprochen
wurde, es möge die für den speziellen Zweck geschaffene Vereinigung auch für die
Zukunft zu gleicher Arbeit fortbestehen. So kam es, daß auf Grundlage eines von
dem Schreiber dieser Zeilen ausgearbeiteten Statutenentwurfs der Verein für
klassischen Chorgesang gegründet wurde, mit dem der Männerchor des Lehrer—
gesangvereins in ein Kartellverhältnis derart eintrat, daß er sich verpflichtete,
den neu gegründeten Verein bei jährlich zwei Aufführungen zu unterstützen, wogegen
für die Dauer des Kartellverhältnisses die Vorstandschaft des Lehrergesangvereins
mit der Leitung des Vereins für klassischen Chorgesang betraut wurde uͤnd die
Aufnahme von Herren als Mitgliedern dieses Vereins unterblieb.
Von Unternehmung zu Unternehmung wuchs die Leistungsfähigkeit der neuen
Vereinigung, stieg die Zaͤhl der weiblichen Mitglieder und die Anerkennung, die sie
beim Publikum fand. Aber noch in dem ersten Aufschwung stehend, traten für den
Verein für klassischen Chorgesang Ereignisse ein, die in ihrer Konsequenz zur Lösung