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Gehen. Sie fand auch nicht die Reize in der Natur,
die Anne hinauslockten. Sie zog vor, gleich Frau
Josephine im Garten bei einer weiblichen Beschäf—
gung zu sitzen. Und gar oft saß sie mit den
beiden Müttern unter der Linde im Rottmannschen
Garten oder im eigenen Gutsgarten, während Anne
ihre Streifereien ausführte.
Frau Josephine wünschte oft, daß Anne etwas
von Äntonies stillerer Art haben möchte. Ihr war
ihr Kind in den letzten Jahren immer ferner gerückt.
Wenn auch die Liebe Annes Wesen umgeändert, es
war doch so viel der Mutter Fremdes in der ganzen
Gedanken- und Gefühlswelt Annes.
Nur wenn das Mädchen mit warmem Blick sich
an sie schmiegte und an ihrem Herzen schwieg, dann
gehörte sie ihr, dann verstanden sie sich. Aber das
Wort, das trennte sie immer von neuem.
Es war Ende April.
Anne hatte mit innerem Jubel die erblühten
Obstbäume im Graben bewundert, sie hatte zu den
jungen, hellgrünen Kastanienblättern aufgesehen, die
gestern noch wie Fallschirme niederhingen und sich
heute gleich Fächern ausgebreitet hatten. Nun
wollte sie einmal die ganze Herrlichkeit von oben
betrachten.
Sie ging durch das dunkle Burgtor hinauf
zur Freiung. Und vor ihr lag das blühende Land.
Die jungen Kirschbäume an den Chausseen blühten,
fie standen wie kleine Brautsträuße am Wege.
Von der Erde stieg es auf, als ob sie all die
Kälte des Winters ausatmen und die warme Sonne