Volltext: Zu Nürnberg

— O Menschenherz! Was sind Deine Träume, Dein Hoffen, 
Dein Sehnen?! ... O Welt! Was ist das Facit Deines 
Hebens! 
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Unergründlich scheint das Antlitz des greisen Blumenträgers; 
stereotyp ist das Lächeln, mit welchem er von Tisch zu Tisch sein 
Körbchen umherreicht. Sein Herz weiß nichts von diesem Lächeln. 
Es hat wohl längst verlernt, zu lachen. Zu schwer mag das 
Leben auf ihm gelastet haben. Wehmütig suchen die großen, 
traurigen Augen hie und da das Podium, während er den 
Käufern mit der zitternden Rechten als Dreingabe zum er— 
standenen Sträußchen die Stecknadeln bietet. 
Es ist Pause. Stimmengewirr durschwirrt den menschen— 
überfüllten Saal, die Gläser klirren, eilig schwenken die Kellner 
hre Lasten, bis jeder der Anwesenden das Bestellte vor sich stehen 
hat. — Müden Schrittes schleppt sich der Blumenverkäufer durch 
die oft recht engen Passagen. Jetzt nähert er sich unserem Tische. 
„Welch schöner, classischer Kopf!“ flüsterte ich der Dame 
neben mir zu. „Der Mann war nicht immer, was er ist! — ich 
wette, er hat eine außergewöhnliche Vergangenheit! Sehen Sie 
das kluge Auge, die hohe, gewölbte Stirne, alles ist Charakter 
in dem Antlitz — nur der stumpfsinnige gleichgiltige Ausdruck 
paßt nicht dazu.“ Silberweiß und seidenweich bauscht sich das 
üppige Haar auf dem edelgeformten Haupte auf. 
Die Musik setzt wieder ein. Tiefe Stille herrscht. Die 
Klänge des Violinkonzertes in D-odur von Beethoven durchzittern 
die Luft. Die weichen Töne, welche der Konzertmeister seiner 
Heige entlockt, üben einen fascinierenden Einfluß auf den 
Blumenmann aus. Sein Auge belebt sich, mit fast gierigem 
Verlangen hängt sein Blick an der Geige dort vorne — krampf— 
haft gespannt verfolgt er jeden Strich des leicht geführten 
Bogens — oft geht es wie Wetterleuchten durch die vergrämten 
Züge, die einen kampfesmutigen, herausfordernden Ausdruck an— 
nehmen. Ich beobachte ihn scharf; er lehnt, seine Umgebung 
bvergessend, an einer der hohen Säulen dicht neben mir. Die
	        
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