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Vergißmeinnicht hinter der Kaiserstallung und den Stiefmütterchen
an der Maxthormauer. —
Da mich im Jahre 70 im Schlachtengewühle bei Sedan
eine daherschwirrende Feindeskugel für den Forstdienst untauglich
gemacht hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als dem schönen
Walde „Valet“ zu sagen und mich als pensionirter Oberförster
soweit hatte ich es doch gebracht! — den alten Heimats
mauern auf Seitdauer meines Lebens wieder anzuvertrauen.
Sintemal mir nicht das Glück zu teil geworden, eine Rettel
für mich zu finden, wie sie meinen Ansprüchen und Wünschen
vorschwebte, habe ich alle Muße, mich mit dem Geschicke Sin—
zelner zu beschäftigen, die mein besonderes Interesse erwecken.
Meine weißen Lilien beim Thiergärtnerthor blühen längst nicht
mehr! Aber erzählen will ich doch das Wenige, was sich von
schönen, geknickten Blumen erzählen läßt!
Zur Seit der Lilienblüte sah ich an einem kleinen Fenster
hinter der Thiergärtnerthormauer einen herrlichen Lilienstock. Er
war entzückend anzusehen in seiner keuschen Reinheit; so hehr
und blendend weiß hob sich die geöffnete Blüte vom Stengel ab,
daß ich unwillkürlich stehen blieb, um mich an dem so einfachen
unstwerke der Natur zu erfreuen.
Da trat ein Mädchen aus der niederen Hausthür, die glich
der Lilie, wie eine Schwester der andern. Die Ähnlichkeit zwischen
den beiden Lilien that mir weh. „Armes Kind,“ dachte ich,
„wie bist Du so blaß J Wie lange wirst Du Deinèe Blume noch
pflegen 7“
„Habt zwei schöne Lilien,“ redete ich den Alten an, der
ruhend auf einem Bänkchen vor dem Hause saß.
„Ja! Wenn's Pfingstrosen wären, wär mirs lieber!“ gab
er schlagfertig zurück.
„Wohl Eure Tochter ?“
„Ja Herr! Die Einzige, hab sonst nichts mehr auf der
Welt. Meine Käthel liest schon lang auf dem Johannis draußen:
hat viele Jahre die Auszehrung gehabt, dann ist sie gestorben!“