Volltext: Festgabe zur 14. Hauptversammlung des Bayer. Volksschullehrer-Vereins

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erkämpft werden können; aber gesichert, für alle Zukunft gesichert, werden sie nur 
durch nationale Bildung. Diese allein verheißt den freien Institutionen Be— 
stand und Fortentwickelung. Was kann die freie Presse bei einem Volke wirken, 
dem allgemeine Bildung mangelt? Wie können Offentlichkeit und Mündlichkeit 
in der Rechtspflege gedacht werden ohne Teilnahme eines gebildeten Volkes? 
Ohne wahre Volkserziehung, sagt ein deutscher Schriftsteller, ist selbst die beste 
Verfassung eine papierene Windfahne, ein Zauberbuch, das nur Einzelne lesen 
und verstehen können. 
Die politische Entwicklung der Staaten hat daher das Bedürfnis klar 
herausgestellt, in allen Ständen und Kreisen verständige und sittlich gebildete 
Bürger zu haben; allgemeine Menschenbildung ist Nationalbedürfnis geworden. 
Die Schule und ihre Lehrer zu heben, das ist heilige Pflicht der Regierungen, 
und diese Pflicht haben sie nicht bloß um der Schule und ihrer Lehrer, nein, auch 
um ihrer selbst willen. Ein Staat, der gute Schulen hat, braucht weniger 
Soldaten, weniger Zucht- und Armenhäuser, geringeren Aufwand zur Gerichts— 
pflege, und in Zeiten der Gefahr gibt die Bildung der Menge allein sichere 
Bürgschaft für Ruhe und Ordnung. 
Soll aber unser Schulwesen den Anforderungen der Zeit entsprechen, so 
bedarf es einer gründlichen, durchgreifenden Reform. Wenn wir auch mit Dank 
anerkennen müssen, daß im 19. Jahrhundert viel für das Volksschulwesen ge— 
schehen ist, so müssen wir doch unumwunden erklären, daß in den letzten 2 Jahr— 
zehenten bedeutende Rückschritte gemacht worden sind, und zwar am meisten von 
Männern, welche die Regierung als die Leiter und Wächter der Bildung hinge— 
stellt hat, die aber, ihre hohe Mission verkennend, statt die harmonische Entwick— 
lung aller Menschenkräfte, eine einseitige religiöse Bildung zu erzielen strebten 
und im Einverständnisse und unter Mitwirkung der Regierungsgewalt durch Ver— 
ordnungen, Lehrpläne und Lehrbücher im Geiste ihrer Parteiansicht die Lehrfrei— 
heit in einer Weise beschränkten, daß die Lehrer zu Maschinen herabgewürdigt 
wurden. So kam es, daß Katechismus und Bibelsprüche als die einzigen Ge— 
dächtnisübungen, die biblische Geschichte als der Hauptgegenstand der Volksschule 
hingestellt wurden, daß Unterrichtsgegenstände, wie Geographie, Geschichte und 
Naturwissenschaften, ja selbst der Unterricht in unserer Muttersprache vor so 
bielem unnützen Gedächtnißkram zu Zwergen einschrumpften oder ganz aus den 
Schulen hinausgetrieben wurden. 
Nicht als ob wir das religiöse Element aus der Volksschule verdrängt sehen 
möchten, nicht als ob wir der Umsicht und dem Eifer so vieler Schulbehörden 
unsere dankbare Anerkennung versagen wollten; aber wir glauben unsere Stellung 
eben so wenig, als die Bedürfnisse unserer Zeit zu verkennen, wenn wir die 
dringende Bitte aussprechen, die Schule nicht ferner mehr als Anhängsel der 
Kirche, sondern als ein selbständiges Institut zu betrachten, das Pädagogen und keine 
Theologen zu Aufsehern habe, das vertreten werde bei Schulkommissionen und 
Landtagen durch gebildete Männer ihres eigenen Standes. Sachkundige Männer 
zu Vorgesetzten und Vertretern zu haben, welche die Unterrichts- und Erziehungs— 
kunst praktisch erlernten, welche die zweckmäßigsten Methoden, Lehrbücher und 
Lehrmittel aus Erfahrung kennen: das ist's, was der Volksschule not thut, wenn 
sie ihr wahres Ziel: Menschen- und Nationalbildung erreichen soll. 
Die Zeit fordert ferner eine gründlichere und umfassendere Berufsbildung der 
Lehrer. Unsere Präparandenschulen verdienen den Namen von Lehranstalten nicht; 
unsere Seminare können nach ihrer inneren und äußeren Einrichtung nicht denkende, 
für das Leben brauchbare, für die Schule durchgebildete Jünglinge heranziehen; es 
fehlen uns ferner noch zweckmäßige Fortbildungsmittel, Schulbibliotheken und 
Lehrervereine. Ein Jugendbildner ohne Bildung ist ein Krieger ohne Waffen. Geben 
Sie uns diese, und wir wollen freudig kämpfen für Gott und Vaterland. 
Unsere Zeit fordert ferner, daß der Lehrer wie von geistiger, so auch von 
äußerer Not frei werde. Wer kann bei Sorge und Trübsal, mit Hunger und
	        
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