Volltext: Beiträge zu Dürers Weltanschauung

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Forschen fehlen, so kann man jedenfalls zunächst das Eine 
sagen, dass es sich nur um weltliche Wissensgebiete handeln 
kann. 
Es ist.doch verwunderlich, dass noch keiner der vielen Er- 
klärer von diesen einfachsten Erwägungen ausgehend den Ge- 
gensatz zwischen geistlichem und weltlichem Wis- 
sen, zwischen Theologie und profaner Gelehrsam- 
keit, zwischen göttlicher und menschlicher Weis- 
heit bis auf Dürer verfolgt hat. Man würde auf diesem Wege 
die beiden vielgedeuteten Blätter ganz zwanglos an das Ende 
einer langen Entwicklungsreihe haben stellen können. Denn der 
Gegensatz zwischen geistlichem und weltlichem Wissen war zu 
Dürers Zeit schon uralt, die Einteilung des gesamten Wissens- 
stoffes in zwei scharf geschiedene Hälften, in die „literae divinae“, 
die göttlichen Wissenschaften, und die „litterae seculares“, die 
weltlichen Wissenschaften, seit einem vollen Jahrtausend im Brauch 
und allgemein bekannt. Wir finden sie schon bei Cassiodorius 
(477—575), dem Berater der Ostgotenkönige. Vom ihm übernahm 
sie Isidor von Sevilla (um 600), der Vater der mittelalter- 
lichen Scholastik, und durch ihn wurde diese Zweiteilung canonisch 
für das ganze Mittelalter und weit darüber hinaus. Denn noch 
Melanchthon steht völlig auf diesem Boden, und erst ganz allmählich 
im Laufe des 16. Jahrhunderts unter dem Einfluss des Humanis- 
mus und der Reformation verwischte sich die Scheidelinie. 
Nicht als ob nun Dürers beide Blätter einfach eine Illustration 
zu diesem mittelalterlich-scholastischen Teilungs-Gedanken wären. 
Dürer war kein Scholastiker und schuf nicht seine herrlichsten 
Blätter für die absterbende scholastische Welt, die zu seiner Zeit 
im Volke längst keinen Boden mehr hatte, sondern für das frisch 
pulsierende Volksleben, und bei religiösen Themen, wie wir am 
„Reiter“ sahen, für die mystisch-religöse Stimmung der Laienkreise. 
Hätte er einfach den mittelalterlichen Gegensatz zwischen göttlicher 
und menschlicher Weisheit darstellen wollen, so würde er über 
das eine Blatt „Theologia“ über das andere „Philosophia“ ge- 
schrieben haben. So aber schreibt er „Melencolia“ über das eine 
und lässt das andere unbenannt. Wir sehen also, der Gedanke 
muss tiefer liegen. Aber als historischer Ausgangspunkt zu der 
Deutung der beiden Blätter kann uns jener scholastische Gegen-
	        
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