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IV. KAPITEL.
Melancholie und Hieronymus im Gehäus — ein
alter Gegensatz in neuer Form. ;
Dürers Ritter Tod und Teufel haben wir in der bisherigen
Untersuchung kennen gelernt als eine neue, als die künstlerisch
vollendetste Verkörperung eines Zeitideales, das schon seit Gene-
rationen dem deutschen Volke wohl vertraut war. Da liegt die
Vermutung nahe, dass auch die beiden im folgenden Jahre in der
gleichen Grösse und gleichen künstlerischen Ausführung geschaffenen
Blätter Melancholie und Hieronymus auf den gleichen Abnehmer-
kreis berechnet waren und dass mithin auch ihre Entstehung zu-
rückzuführen sein könne auf volkstümliche ethische. Vorstellungen,
wie sie in den Jahrzehnten vor der Reformation im deutschen
Volke lebendig waren. Ihr Sinn muss von der Oberfläche des
allgemeinen Denkens und Empfindens jener Jahre abzuüschöpfen
sein, so gut wie der des Reiters.
Mehr noch als beim Reiter hat man aber von jeher gerade bei
der Melancholie in schier unergründliche Tiefen der Phantasie hinab-
steigen zu müssen geglaubt und hat einen solchen Berg gelehrten
Schuttes über. den klaren Quell Dürerischer Redeweise aufge-
schüttet, dass man von seinem melodischen Rauschen fast nichts
mehr vernimmt. Es ist der Melancholie so ergangen, wie Raffaels
„Schule von Athen‘ und der „Disputa“: Man hat dem Künstler
so viel Gelehrsamkeit aufgepackt, dass man nun gar nicht mehr
den Mut hat, an ganz Einfaches und Naheliegendes zu: denken.
Suchen wir einmal jetzt alles zu vergessen, was über die
Melancholie und ihren frommen Partner und ihr gegenseitiges
Verhältnis und beider Verhältnis zum christlichen Ritter seit
Jahrzehnten Gelehrtes und Geistreiches geschrieben worden ist.
Wir wissen aus Dürer’s eigener Feder, dass die beiden mit der
gleichen Jahreszahl versehenen, gleich grossen Stiche zusammen
gehören, dass die Melancholie das erste, der Hieronymus das
zweite Blatt bildet, und dass sie, wie die künstlerische Betrachtung
uns schon lehrte, augenscheinlich als Gegenbilder gedacht sind, —
zunächst in der Beleuchtung. Das genügt als Ausgangspunkt.