Volltext: Beiträge zu Dürers Weltanschauung

m. 
jenes ergreifende Geständnis der inneren Zerrissenheit der deutschen 
Volksseele, die Schwermut des weltlichen Wissens im Gegensatz 
zum Frieden des göttlichen Wissens, schuf. Noch steht der fromme 
Nürnberger Meister in diesen Jahren unter der „grossen Beschwer- 
ang menschlichen Gesetzes, die der römische Stuhl aufgerichtet,“ 
— wie er es im Jahre 1521 in seinem Tagebuche der nieder- 
ländischen Reise so treffend ausdrückt —, noch war Luthers 
'röhliche Botschaft „von der Freiheit eines Christenmenschen“‘ 
nicht erklungen. Somit vermag Dürer auch die Last der ererbten 
Vorstellungen noch nicht abzuschütteln. Gehorsam beugt er sich 
der für fromm und allein richtig erklärten Ueberlieferung, das 
gesamte weltliche Wissen durch die Zahl I unterzuordnen unter 
das geistliche und dort dunkle Schwermut und Verzweiflung, 
aier. sonnigen Frieden als Endergebnis der Beschäftigung zu 
bekennen. 
„Bittersüss‘‘ ist ihm dies Geständnis geworden. Es liegt ein 
tiefer Sinn in dem Kranze, den er seiner so gern zu des Himmels 
Höhen aufzufliegen verlangenden Frauengestalt auf’s Haupt gedrückt 
hat. Süss war ihm die Beschäftigung mit all dem weltlichen 
Wissen; denn alles, was die Welt bot, umfasste er mit einem 
[nteresse, einem liebevollen Verständnis vom Grössten ‘bis zum 
Kleinsten, wie es vor ihm kein deutscher Künstler besessen hat, 
lebhafter keiner nach ihm. Sein ganzes Leben, seine Kraft und 
Forscherthätigkeit hatte er in den Dienst der Erfassung der Aus- 
senwelt gestellt, umwälzende Entdeckungen der Astronomie und 
Erdkunde hatte er mit erlebt, mächtig hatte er selbst die Mathe- 
matik fördern helfen. Ein unbezwingbarer Wissensdrang charak- 
:erisiert Dürers ganzes Wesen, denn „es ist uns von Natur 
aingegossen, dass wir gern viel wüssten‘“! Bitter, doppelt 
bitter, musste gerade einer solchen Natur das Geständnis fallen, 
Jass dieser Naturtrieb Gefahren berge, dass man Gott auf diesen 
Wegen nicht finden könne, dass „unser blöd Gemüt zu solcher 
Vollkommenheit aller Kunst, Wahrheit und Weisheit nicht kom- 
nen kann“. 
Nur noch drei Jahre nachdem Dürer die Jahreszahl zum 
Zeichen der Vollendung auf sein „Bittersüss‘“-Bild gesetzt, da trat der 
Mann auf, für den die Zeit reif war. Mit gewaltiger Stimme rief 
er seiner Zeit das erlösende Wort .zu, dessen Kraft er in schweren
	        
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