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Sonette, wie diejenigen der Vittoria Colonna
schwerlich entgangen, auch findet sich wohl einmal
eine Erinnerung an Tassos rime sacre e morali.
Hand in Band mit dieser Aneignung edelster
Dichtkunst geht eine ganz erstaunliche Bibelfestig—
keit und eine weit uͤber das Maß gewoͤhnlicher
Bildung hinausgehende Sicherheit in der Ver—
wendung von Bildern aus der klassischen Mythologie.
Dieses genaue Studium hat sie leider verleitet,
allzuhaͤufig damit zu prunken. Daß sie in den
Anmerkungen zu ihrer UÜbersetzung Irenaͤus
Eusebius, Tertullian citiert, moͤge nur nebenbei
erwaͤhnt werden. Ihre Neigung zu mystischen
Gruͤbeleien, die offenbar erst eine Solge der selbst—
quaͤlerischen Sroͤmmelei der letzten Lebensjahre
gewesen ist, kommt in ihren ersten Dichtungen
nur selten zum Verschein.
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In kurzen, fluͤchtigen Zuͤgen hingeworfen,
scheint das Bild des geistigen Lebens der Dichterin
nunmehr vollstaͤndig. Und doch ist es nur eine
duͤrftige Untermalung, luͤckenhaft und farblos,
eine schwache, aber unentbehrliche Grundlage,
in welche Zug um Zug, Strich fuͤr Strich die
Sarben erst einzusetzen sind. Das wahre Abbild
des Dichters geben uns seine Werke selbst. In—
dem wir uns ihnen zuwenden und die Grund—
gedanken uns zu eigen machen, teilt sich uns der
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