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Sprachcharakters ist wenig zu verspüren. Die literarischen Satiren,
wie sie Tieck verfaßte, wären ja sonst ein sehr geeigneter Boden
dafür gewesen. Übrigens ist es nicht Hans Sachs allein oder VOor-
wiegend, der Tieck zu dem altertümelnden Stil geführt hat, die
Volksbücher, Grimmelshausen, Moscherosch, Jakob Böhme haben ihm
zu Zeiten einen starken Eindruck gemacht.!
In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre des 18. Jahrhunderts
hat sich Tieck von seinem Groll gegen die Aufklärung und ihre
Verfechter in literarischen Satiren losgeschrieben und hält in reicher,
glänzender poetischer Ausrüstung seinen Einzug in den Tempel der
Romantik. 1799 schrieb er seine „Genoveva“, sie erschien 1800,
1801—1803 den „Octavian“, sein höchstes poetisches Glaubens-
bekenntnis, er erschien 1804. In diesen Jahren schaltet Tieck mit
zrenzenloser poetischer Herrlichkeit. Bei der Weitläufigkeit, mit der
Tieck im „Prinz Zerbino“ (1796—98) sein Ziel zu erreichen suchte,
konnte auch leicht ein Abstecher in das poetische Reich des Hans
Sachs unternommen werden. Er ist nur flüchtig ausgefallen, Nach-
ljem Nestor, für den Nicolai das Urbild abgegeben hat, wenn dies
auch Tieck nicht ganz zugesteht,* im Garten der Poesie seine Aus-
stellungen und schalen Witze verschiedenen ausländischen Dichtern
gegenüber vorgebracht hat, vermißt er die Dichter deutscher Nation
und nennt dabei Hagedorn, Gellert, Geßner, Kleist, Bodmer. Die
Göttin, die die Führung in dem Dichtergarten übernommen hat,
bemerkt darauf: „Die Du nennst, kennen wir nicht, aber dort steht der
wackre Hans Sachs.“ Hans Sachs schließt daran gleich die Frage:
‚Kennst Du mein Fastnachtsspiel vom Doktor mit dem Narren-
schneiden ?“ Der Dialog springt aber davon gleich wieder ab, indem
lie Göttin lobende Verse anreiht, die auf Goethe zielen.* Wir wollen
uns dabei erinnern, daß Nicolai einmal Hans Sachs mit leichtem Spotte
vestreift und daß gerade Goethe das „Narrenschneiden“ des Hans Sachs
1 Man vgl. Hermann Petrich, Drei Kapitel vom romantischen Stil.
Leipzig, 1878, 2. Kapitel. Der Archaismus des romantischen Stils (S. 41—91).
Für Hans Sachs bieten die Wortzusammenstellungen, die Petrich S. 59—91
zibt, keine Ausbeute. Vgl. ferner auch Jobann Ranftl, Ludwig Tiecks
Genoveva (Grazer Studien zur deutschen Philologie, Hg. von A. E. Schönbach
und B. Seuffert [6], Graz, 1899), S. 27, 201—207.
2 Tjeck’s Schriften, 6. Bd., Berlin, 1828, S. XXXIX
> Tieck’s Schriften. 10. Bd., Berlin, 1828, 8. 280.