Volltext: Offizieller Bericht über die Verhandlungen des Kunsthistorischen Kongresses zu Nürnberg

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dabei weniger an seine zu Markt ziehende Bauernfamilie oder an das köstliche 
Blatt mit dem sich raufenden Lehrjungen, als grade auch an seine religiösen 
Darstellungen, wie beispielsweise an das menschlich warme Idvll seiner „Flucht 
nach Ägypten“. , a 
Dem Künstler aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts — das ist das wichtige 
Moment — galt die Natur in allen ihren Regungen nicht mehr schlechthin als 
sündlich, sondern er begann in ihr seine Lehrmeisterin zu sehen. Da er aber als 
Kind seiner Zeit notwendig zugleich unter dem Einflusse der herrschenden 
Anschauungen stand, so fand er sich zuerst vor die Aufgabe gestellt, ke die 
Widersprüche seines Innern Harmonie zu bringen. Und so ist denn in der 
deutschen Kunst zuerst die Abklärung der mystisch dunklen und verschwommenen 
Ahnungen und Gefühle zu reformatorisch fruchtbaren Ideen erfolgt. Daher war 
Woltmann zu dem Satze berechtigt: „Nicht in der Epoche, welche dem Auftreten 
Luthers folgt, sondern in derjenigen , welche ihm vorhergeht, ist die Kunst der 
Reformationszeit zu suchen.“ 
Es wäre hier nun wohl meine Aufgabe, auf die Einzelheiten dieser höchst 
interessanten Thatsache näher einzugehen und nachzuweisen, wie der reformatorische 
Gedanke in den Werken der grossen Meister dieser künstlerisch so hochstehenden Zeit 
Leben gewonnen und sich entwickelt hat. Aber Sie werden mir das erlassen, da 
es ja bereits von einem ungleich Berufeneren, eben von Alfred Woltmann, in so 
vollendeter Weise geschehen ist. — 
Zu diesen mannigfachen äusseren Einflüssen und inneren Erlebnissen, die der 
deutschen Kunst und Litteratur des ausgehenden Mittelalters ihr Gepräge verliehen, 
kam nun seit dem Ende des 15. Jahrhunderts noch eine gewaltige Erregung der 
Geister und Wandlung der künstlerischen Anschauungen durch die sieghaft von 
Ttalien her eindringende Renaissanceströmung. 
Man hätte von vornherein zweifelhaft sein können, ob der starke Einfluss 
einer fremden Kultur und Kunst, wie es die griechisch-römische schliesslich doch 
war, trotz vieler früher und späterer Beziehungen und trotz der lateinischen Bildung 
grosser Kreise der mittelalterlichen Bevölkerung, ob dieser Einfluss, sag’ ich, ein 
segensreicher für unsere Kunst, für unsere Litteratur werden oder zum Schaden für 
sie ausschlagen würde. Die Wirkungen der wiedererweckten Antike sind denn 
auch in der That in Deutschland sehr verschiedenartige gewesen. 
In der Litteratur hatten die humanistischen Bestrebungen etwas früher Boden 
gewonnen, als die Renaissance in der deutschen Kunst sich Geltung verschafft hat. 
Bereits gegen den Schluss des Jahrhunderts gab es eine ansehnliche lateinische 
Litteratur, die ganz unter dem Einfluss der antiken Autoren stand. Es ist keine 
leichte Sache, zu dieser Litteratur in richtiger Weise Stellung zu nehmen. Denn 
wenn man sich einerseits auch sagt: es waren ja doch Deutsche, die das geschrieben, 
Menschen, die doch gewiss zum grossen Teil echte Kinder ihrer Zeit waren, es 
wird sich also auch aus ihren Werken manches zur Erkenntnis deutschen . Wesens, 
deutschen Dichtens und Trachtens gewinnen lassen — wenn man sich das auch 
sagt: so kommt es Einen doch gleichwohl schwer an, Männern einen Platz in der 
deutschen Litteraturgeschichte einzuräumen, die sich alle nur mögliche Mühe gegeben 
haben, ihren deutschen Sinn zu verleugnen, ihr eigenes Wesen hinzugeben an die 
kaum halbverstandene Antike. Mit sklavischer Nachahmung, wie sie uns bei den 
lateinischen Dichtern der Zeit entgegentritt, war aber der armen deutschen Dichtung
	        
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