Volltext: Offizieller Bericht über die Verhandlungen des Kunsthistorischen Kongresses zu Nürnberg

Landschaftsmalerei. Die Formen gewinnen an Wahrheit und, mit echten Künstler- 
augen geschaut, an Schönheit — wenn auch freilich der Realismus eines Hubert 
van Eyck vereinzelt bleibt. . 
Wie gross der Eindruck auf die Zeitgenossen gewesen sein muss, geht allein 
schon aus der Schnelligkeit, mit der die neue flandrische Kunst sich Geltung zu 
verschaffen gewusst hat, hervor. Zum Teil ganz plötzlich sehen wir sie neben das 
Alte treten und dieses verdrängen. Vielfach können wir uns den raschen Umschwung 
nicht anders erklären, als durch einen Aufenthalt des betreffenden tonangebenden 
Malers in den Niederlanden. Solche Reisen aber zum Zweck des Studiums, wie 
sie ja später immer häufiger wurden, erweitciten den Horizont, hoben die Bildung 
und ohne Zweifel auch das Selbstgefühl. Im Jahre 1477 muss der Nürnberger 
Rat erst mit den Malern unterhandeln, damit diese, wie früher, den Fleischhackern 
ihre „vasnachttier“ — wie es in den Ratsprotokollen heisst — malen „oder vrsach 
sagen warumb sie daz nit thun wellen“. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfen wir 
bereits diese Notiz als einen Beleg für das Sichbewusstwerden der Künstler nehmen, 
das man in der Regel erst von den Zeiten Dürers an zu datieren pflegt. 
In der Litteratur dagegen verkam mit dem Material, der Sprache, auch der 
Sinn für die Form. Mehr als zu irgend einer anderen Zeit stand die gesamte 
deutsche Poesie um die Wende des 15. Jahrhunderts unter dem Zeichen des 
Meistergesangs, und es lässt sich gar nicht ausdrücken, was infolge einer Verwechselung 
des Künstlerischen mit dem Künstlichen in Geschmacklosigkeiten gerade der Form 
damals, wie auch noch später, von den biederen Handwerkern, aus denen sich der 
Meistergesang vor allem rekrutierte, geleistet worden ist. (Folgt ein Beispiel aus 
einer Handschrift des Memminger Museums.) 
Ich habe ferner vorhin bereits von dem Zug zur Natur gesprochen, der sich 
bei den flandrischen Malern zu regen begann. Auch in Deutschland finden wir — 
in der Kunst sowohl wie in der Poesie -— früh Ansätze dazu, wenn auch von 
einem Studium der Natur nur selten die Rede sein kann. Aber merkwürdig ist 
es nun wieder, zu sehen, wie diese Keime im Bereiche der bildenden Künste 
trefflich Wurzel schlugen und fröhlich sprossten, während sie in der Litteratur zu 
keiner rechten Entwickelung gelangten. Indessen dürfen wir doch auch hier nicht 
vergessen, dass eben diesen in der Zeit liegenden Trieben so manche lebensvolle, 
wenn auch meist derbe Szene in den deutschen Fastnachtsspielen und namentlich 
die kurze aber frisch duftende Blüte des Volksliedes im 16. Jahrhundert ihr Dasein 
verdanken. Die ganze übrige Litteratur aber lag in den Fesseln der Didaktik und 
konnte sich von ihnen nicht befreien, um an den Brüsten der Natur. dem ewigen 
Jungbrunnen aller Kunst, neues Leben zu trinken. 
Um zu verstehen, wie es dahin gekommen und warum jene Fesseln noch auf 
undert und mehr Jahre hinaus unzerreissbar waren, muss ich Sie bitten, mir noch 
einmal in das 13. und 14. Jahrhundert zu folgen. 
Der rasche Verfall der alten Kaiserherrlichkeit, der beständige Zwistigkeiten 
und Fehden der kleineren Gewalten untereinander, der Fürsten, Ritter, Städte und 
schliesslich auch der Bauern, zur Folge hatte, dazu die Schreckensjahre, in denen 
der schwarze Tod die Welt durchzog, hatten jene Richtung des geistigen Lebens 
grossgezogen, die wir Mystik zu nennen pflegen. Die ganze Grossartigkeit derselben 
offenbart sich uns in den Schriften Meister Eckarts, ihre ganze Innigkeit in den 
Liedern etwa einer Mathilde von Magdeburg oder in den Werken der alten
	        
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