Durch die Via mala,
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Nun stehe ich auf der zweiten Brücke, einem
Menschenwunder, das furchtbare Tiefen zu über-
brücken vermochte. Über hundert Meter tief
im Dunkel drängen sich die weissschäumenden,
zornwütigen Wellen unter den Felsen, kaum
einen Meter breit hervor. Die Schlucht, auch hier
nicht breiter als die Brücke, ist von dreihundert
Meter hohen, senkrechten Schieferwänden ein-
geschlossen. Hier ist die Scenerie am schauer-
lichsten, und hier war es, wo vor gerade hundert
Jahren der rasende Sturm Bäume und Felsgestein
loslöste und Pferde und Soldaten des hier durch-
ziehenden Marschalls Macdonald in den grausigen
Abgrund stürzte.
Über der dritten Brücke erweitert sich die
Schlucht zum Schamser-Thale, das nach der
melancholischen Via mala doppelt heiter und
fröhlich blickt.
Aus der ersten Hütte tritt eben ein junges
Mädchen mit dem Milchkruge, einen mächtigen
Bernhardiner schützend zur Seite, von der für-
sorglichen Grossmutter auf die Strasse geleitet.
Frischer Morgenwind spielt mit ihrem blonden
Gelock und streichelt die rosigen Wangen.
Ich geselle mich ihr zu und so wandern wir
zwei in den herrlichen Morgen hinein. Das
liebliche Thal Hegt tausend Meter hoch und ist
von felsigen Schneebergen umfasst, von deren