1. Festspiel „dans Sachs“ von R. Genee 64 b
herbergen. Zum Bauer und zur Bäuerin kommt am Abend
ins Wirtshaus Frau Wahrheit, die überall Verstoßene, um
Herberge zu suchen. Sie wird mit Freuden aufgenommen,
nachdem sie ihren Namen, wenn auch erst nach längerem
Sträuben, genannt hat; denn überall ist ihr Name verachtet.
Auf Befragen, woher sie komme, schildert sie ihr Ungemach.
Vom höchsten Gott Jupiter auf die Erde gesandt, um das
menschliche Geschlecht zu züchtigen, ist sie überall, wohin sie
sich auch gewendet, vertrieben worden, aus Einöden und
Wäldern, aus Dörfern und Feldern, aus der Stadt von
Bürgern und Kaufleuten, selbst vom einfachen Handwerksmann,
von allen Ständen, von Weibern und Kindern, Knechten und
Mägden, selbst aus dem Hause der Gerechtigkeit ward sie ver—
stoßen und von den Fürstenhöfen verjagt. Ja, im Tempel
schlug man sie, als man sie an ihrer Stimme erkannt hatte,
blutrünstig, schleppte sie beim Haar herum, hielt ihr den Mund
zu und hätte sie schier getötet. Und dies alles deshalb, weil
sie Trug und Eigennutz, Lug, Arglist und Heuchelei bei ihrem
wahren Namen nannte; denn die Wahrheit will die Welt nicht
hören, und wenn man sie auch anfangs, weil ihre Gestalt
holdseliger Art, überall gut aufnimmt und jung und alt sie
liebt, so will man sie doch auf die Länge nicht herbergen.
Sobald sie anfängt zu reden, wird man ihrer überdrüssig, und
wär' es allen noch so not und nütz. Überall hört man lieber
Heuchelei von schmeichlerischen Schalken, als das ernste und
strenge Wort der Wahrheit, welche Lüge, Trug und Heuchelei
nicht kennt.
Der Bauer möchte nun die Rede der Wahrheit kennen
lernen. Als er aber hört, daß sie rede, wie es im Grunde
des Herzens stehe, ohne Betrug und Ansehen der Person, daß
ja bleibe ja und nein bleibe nein, und die Wahrheit ihn
fragt, ob sie auch solche Art an ihm erfinde, da muß er ge—
stehen, daß es da weit bei ihm fehle, daß er oft manchem
freundlich zurede, dem er lieber das Herz abstäche. Wollt' er
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