Künstler und Gelehrter.
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wolle allen Kunstbeflissenen die nötige Anleitung geben, nicht
allein den Malern, sondern auch Goldschmieden, Bildhauern,
Steinmetzen, Schreinern und allen denen, die des Maßes be—
dürfen. Die Geheimnisse der Proportion, in welche einst Luca
Pacioli in Bologna ihn einen Blick hatte thun lassen, die kamen
hier zu gemeinem Nutz und Frommen an das Licht.
Alle Welt erstaunte aber, als Dürer der Maler sich plötz—
lich von einer ganz neuen Seite präsentierte und den Beweis
lieferte, daß er auch ein Meister der Festungsbaukunst sei. Im
Oktober des Jahres 1527 erschien von ihm ein Buch mit dem
Titel: „Unterricht zur Befestigung der Städte, Schlösser und
Flecken.“ Mit der Widmung an König Ferdinand J. von Böh—
men und Ungarn wollte er eine Schuld der Dankbarkeit ab⸗
tragen gegen den Großvater desselben, Kaiser Marimilian hoch—
seligen Angedenkens. Was ihn zu diesem Buch gedrängt hatte,
war die Liebe zu seinem Vaterland und der Blick auf den Tür—
ken, gegen dessen Raubgelüste das Reich zu schützen er die Für—
sten belehrte, wie sie ihre Bollwerke in einen guten, widerstands⸗
fähigen Zustand zu bringen hätten.*)
Den größten Fleiß aber und die meiste Zeit wendete Dürer
auf die Lehre von der Proportion des Menschen. Pirkheimer
erbot sich, eine Vorrede zu dem Buch zu schreiben, und Dürer
nahm das an, aber nur unter einer fünffachen Bedingung, die
seiner Bescheidenheit und Demut ein neues herrliches Zeugnis
ausstellte: zum ersten, daß da kein Wort des Rühmens und
*) Dürer fand mit dieser seiner Lehre von der Fortifikation bei sei⸗—
nen Zeitgenossen leider geringes Verständnis und Dank. Erst eine spä—
ere Zeit lernte seine Ideeen würdigen. Straßburg baute nach Dürers
Vorschrift seine Bastion am Kronenburger Thor. Und bis in die Neuzeit
wirkt die Autorität Dürers fort: dem sogenannten neupreußischen System
der Befestigungskunst liegen seine Anschauungen zu Grunde.