Karl Drescher.
Später wird sich dann zeigen, inwieweit sich diese Exempla durch
das Erscheinen neuer Bücher wiederum verschieben. Sämtliche drei
hinzugekommenen Frauen fanden sich auch bei Boccaccio: Sulpicia
Trustelionis c. 81; Orgia, Gemahlin des Drigiagon (diese Form bei
Stainhöwel) c. 72; Pompeya Paulina c. 89. Die ausschliefsliche Quellen-
angabe Valerius ist geblieben; aber während z. B. der Name Orgia
aus Valerius tatsächlich herrühren dürfte (vgl. oben), stammen nähere
Angaben bei der Sulpicia dagegen aus Boccaccio z. B. der Name des
Gatten, der bei Valerius lib. VI Lentulus heifst. Wir erkennen: wenn
also Boccaccio auch hier nicht genannt ist, so ist er doch bei der Quellen-
frage zu berücksichtigen, und wir gewinnen zunächst das auch noch
für später geltende Resultat, dafs bei Gedichten von der Art des
vorliegenden, Boccaccio und Valerius Maximus in sehr vielen Fällen
nebeneinander benutzt erscheinen, andrerseits aber ergiebt sich die all-
gemeinere Tatsache, dafs Hans Sachsens eigene Angaben über seine
Quellen doch noch im einzelnen einer kritischen Nachprüfung bedürfen,
welche Wahrnehmung wir auch gleich noch in andrer Weise bestätigt
finden werden,
Schon in den Studien zu Hans Sachs II, 45 ff. ist für Ovid nach-
gewiesen, dafs Hans Sachs bei Gedichten nach den „berühmten Frauen“
durch die einer Reihe von Erzählungen vorgedruckten Citate aus Ovid
irregeführt wurde, so dafs er die grade behandelte Geschichte als auch von
Ovid herrührend bezeichnete. Er wollte auf diese Weise entweder ur-
sprünglicher als seine unmittelbare Vorlage sein oder nahm in gutem
Glauben an, dafs die (durch Stainhöwel vorgesetzten) Citate tatsächlich
die Quelle darstellten, aus der Boccaccio schöpfte. Das gleiche Spiel
wiederholt sich nun auch bei andern Namen; ein lehrreichesBeispiel ist die
„Historia von den dreyen heidnischen mörderischen Frawen“ KG. IL, 294
vom ı4. Mai 1538. Behandelt sind Clitemnestra, Tullia, Cleopatra
angeblich aus Virgil, Livius und Boccaccio. Aber die im einzelnen
gebrauchten Wendungen stammen aus Boccaccio, und die Nennung
Virgils und Livius ist durch die vorgesetzten Citate veranlafst; bei
Clitemnestra c. 24 steht:
Virgilius XI Eneidos.,
Conjugis infande prima inter limina dextra,
Oppecyt; devicta asia subsedit adulter
bei Tullia eine Stelle aus Ovids Ibis und die Bemerkung: „Vide Titum
livium decade primo libro ı Fol. XI. Ferner vgl.: