Aus Nacht zum CLicht.
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zu Zeit einen Blick und versank dann in tiefes Grübeln. Das
Büchlein trug den Titel: „Das heilige Vaterunser, ausgelegt
pon D. Martin Luther.*) Es war ihm zugegangen durch Herrn
Christoph Scheurl, jenen Mann, der ihn einst in Bologna be—
grüßt, dann als Professor der Rechte nach Wittenberg gekommen
war und gegenwärtig als Rechtskonsulent in Nürnberg eine be—
deutsame Stellung einnahm. Durch ihn hatte er auch manches
über den merkwürdigen Mann erfahren, der in Sachsen und
auch weiterhin im Reich von sich reden machte, den Augustiner—
mönch und Professor der Theologie an der vom Kurfürst Friedrich
dem Weisen in Wittenberg gegründeten Hochschule, und Dürer
hatte von vorn herein ein lebhaftes Interesse für den außer—
ordentlichen Gelehrten in sich gespürt, war auch fleißig in die
Predigten des Paters Wenzel Link gegangen, welcher, mit Luther
vom Erfurter Kloster her eng befreundet, seit einiger Zeit als
Ordensbruder im Augustinerkloster zu Nürnberg saß. Diese Pre—
digten hatten ihn aufs Herz getroffen und einen heftigen Sturm
in ihm erweckt. Ein treuer Sohn seiner Kirche und von Herzen
fromm hatte er bisher nach den Geboten des päpstlichen Stuh⸗
les seinen Wandel geführt und vor Menschen untadelig gelebt,
ja von allen Seiten sich die größte Hochachtung erworben, denn
man ehrte in ihm nicht allein den Künstler, sondern auch den
Menschen; — jetzt ward er an sich selber irre, als könne der
Weg, den die Kirche zeige, nicht der rechte sein. Und diese
Unsicherheit mehrte sich noch, wenn er des Greuels der Ver⸗
wüstung an heiliger Stätte gedachte, wenn er das tiefgehende
Verderben der Kirche ansah, welches ihm ja schon vor Jahren
5) In der Fastenzeit des Jahres 1517 hatte Luther das Vaterunser
in Predigten ausgelegt, und einer seiner Zuhörer hatte das Nachgeschrie—
bene alsbald gedruckt ausgehen lassen.