Volltext: Albrecht Dürer

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SmSünfzehntes Kapitel. 
Verwöhnte gegen ihn anschlug, bis er durch die stille Macht 
seiner Selbstlosigkeit den Stolzen bezwang und ihm Achtung ab— 
nötigte. 
Was ihn zu dem Meister Jacopo trieb, war nichts anderes 
als der Drang zu lernen. Der dreiunddreißigjährige Mann, der 
zepriesene Künstler, dessen Name bereits die Welt erfüllte, er 
wollte bei dem welschen Meister in die Schule gehen. 
Er hatte vorher noch in einer andern Schule gesessen, in 
der Kreuzschule. Eine schwere Krankheit hatte ihn daniedergewor— 
fen und ihn zur stillen Einkehr bei sich selbst genötigt. Und 
wie nun diese Einkehr seinem Herzen gut gethan hatte, es zu 
läutern und zu heiligen, so sollte auch der Geist nicht ohne 
Befruchtung bleiben, sollte der Genius neue Offenbarungen em— 
ofangen, sollten in der Drangsalshitze leiblicher Anfechtung seine 
schöpferischen Kräfte wachsen. Dieser Fortschritt zeigte sich in 
der Art, wie Dürer jetzt das menschliche Antlitz faßte und 
darstellte. Hatte er bisher nach dem allgemeinen Brauch der 
deutschen Malerei sich darauf beschränkt, dasselbe in seiner ge— 
wöhnlichen, ruhig ebenen Haltung wiederzugeben, ohne die Stim— 
mung des Gemütes darzustellen, so erschien jetzt in seinen Por— 
trätzeichnungen licht und klar der Ausdruck der Seele. Das 
ganze Antlitz wird nun erst lebendig, man sieht, was die Per— 
son empfindet, was sie bewegt, was in ihr ringt und arbeitet, 
man sieht, wie die Haare zittern, wie die Lippen schwellen und 
zucken, wie die Augen blinken und stechen. — Noch mitten in 
seiner Krankheit hatte er einen Christuskopf gemalt, wie bisher 
noch keinen: das Haupt des toten Heilands mit der Dornen— 
krone, mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund, in den 
Zügen der Ausdruck unermeßlichen Schmerzes. Was er selbst 
in sich empfunden während seines schweren Leidens, das suchte 
Dürer so mit dem Stift und dem Pinsel zu malen, und so
	        
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